: Im Herz des Neonlichts
■ „Dreamcity. Die Stadt in Worten“zerlegt Realität auf Kampnagel
Vor den Augen des Publikums träumen sechs Menschen die Stadt. Eternal Joy Avenue, Memory Lane, Paranoiastraße: Welcome to Dreamcity. Täglich neu gebaut aus Hoffnungen und Ängsten, die das Raster der Orientierung bilden und den konkreten Stadtraum mit dem privaten Stadt-Traum überschreiben. Der Gang durch die Metropole, schildert Liane, „is like I–m in my own private pop video“.
Die Beschreibung, nicht das Spielen von Erfahrungen steht im Zentrum der perfide beeindruckenden „Junge Hunde“-Produktion Dreamcity. Die Stadt in Worten. Die deutsch-englische Gruppe Copy Club hat nach einem Konzept von Stefan Pucher und Berit Stumpf ein Stück erarbeitet, das gar kein Stück sein will, sondern „Live Art“. Die Figuren wurden von der Bühne geschmissen und die Schauspieler persönlich auf die Bühne gestellt. Unter ihrem richtigen Namen erzählen sie aus ihrem richtigen Leben. Daß diese Intimität artifiziell und die Ehrlichkeit fiktiv ist, macht dabei natürlich den Reiz der Inszenierung aus.
Im Herz des Neonlichts wird die Realität in Längsstreifen geschnitten. Zur Sprachebene kommen die Klangebene – ein Live-DJ füttert Geräusche und Rhythmus – und zwei Bildebenen: der tiefe Raum und die flache Leinwand, verbunden über eine einzigartige Modellstadt aus Flaschen, Steinen und Verpackungen. Während der Talkmaster einer fiktiven Fernsehshow seine Gäste nach ihren Stadterfahrungen fragt, fährt eine Kamera durch das Modell auf der Bühne und projiziert faszinierende Bilder der Collage auf eine Großleinwand, die die Akteure förmlich einsaugt. Dazu kommen grotesk-realistische Interview-Sequenzen live aus dem Supermarkt.
Noch fehlt es Dreamcity an Dichte und Rhythmenwechsel sowie manchen Akteuren an stimmlicher Präsenz.. Doch operiert der Copy Club schon erfolgreich an jenem flüchtig erwähnten Ort, der das Herz der Metropole bildet, obwohl kein Stadtplan ihn auszeichnet: dem Zentrum des Jetzt.
Christiane Kühl
Sa, 20.30 Uhr, Kampnagel, k4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen