freizeitgestaltung, freibäder, videotheken etc.: Im Herbst: Die Suche nach dem guten Indoor-Ort
Cold Cut
Nichts ist öder als die ewigen Wehklagen über den Berliner Winter. Es ist, wie es ist, und ist auch schon viel erträglicher geworden. Um die Härten der Jahreszeiten zu mildern, bin ich zum Beispiel kürzlich in eine zentralbeheizte Wohnung bezogen, in der Hoffnung, einen weiteren Schritt hin zum richtigen Umgang mit den Jahreszeiten getan zu haben. Um die Ecke das Prinzenbad, gegenüber die beste Videothek – Sommer- wie Winterbedürfnisse scheinen bestens bedient.
Zwischen April und September ist alles ganz einfach. Zu Beginn der Saison kaufe ich eine Dauerkarte und gehe fortan jeden Tag ins Bad. Alles Weitere ergibt sich von selbst. In diesem Szenario hat auch der Winter seine Berechtigung: Man schaut sich einfach alle Filme an, die man eh schon mal sehen wollte.
Hier liegt allerdings mein Problem: Ich habe meinen Freizeitgestaltungsbonus für den Winter schon im Sommer verprasst. In den sieben scheußlichen Wochen nach Siebenschläfer war ich jeden Tag im Freibad (tagsüber) und in der Videothek (abends). Meine cineastischen Bedürfnisse habe ich befriedigt und mir ist die Lust am Filmegucken vergangen. Außerdem sind öffentliche Orte sowieso unterhaltsamer als das heimische Sofa.
Meine Sommer/Winter-Planung ist so etwas aus dem Tritt geraten. Jetzt stehe ich dumm da und bin auf der Suche nach einem kältegeschützten Ort, wo es ähnlich billig und unterhaltsam ist wie im Freibad. Wo man einfach nur sitzen und das Leben an sich vorüberziehen lassen kann. Wo sich jeden Tag aufs Neue ein bizarrer Mikrokosmos entfaltet. Hallenbäder fallen weg, hier gibt es nur ernsthafte Schwimmer und Kinder. Cafés sind auch nicht wirklich eine Option, weil man sich das Bleiberecht stündlich neu erkaufen muss. Einkaufszentren sind zu deprimierend. Gute Orte gibt es wenige, wenn’s draußen kalt ist.
Doch seit ich meine vergangenen Winter rekapituliert habe, gibt’s wieder einen Hoffnungsschimmer: die Staatsbibliothek. Da gibt’s auch immer was zu gucken, und das Spektrum der Leute, die sich an diesen Ort verirren, ist erstaunlich heterogen. Ein bisschen fehl am Platz fühlt man sich zwar ohne akademische Mission. Vielleicht liegt hier aber auch die Lösung des Jahreszeitenproblems: einfach jeden Winter eine Magisterarbeit oder besser noch ein Buch schreiben. Das bringt Ruhm und im Idealfall auch Geld, so dass man im nächsten Sommer wieder schön abhängen kann.
STEPHANIE GRIMM
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