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Im Eisschrank

Mehr kühl als schwül: Ute Rauwald inszeniert „Die arabische Nacht“ im Malersaal  ■ Von Karin Liebe

Anfangs glaubt man, einem Hörspiel beizuwohnen. Von ganz oben unter der Decke des Malersaals kommen Stimmen. „Ich höre Wasser“, sagt ein Mann. Eine Taschenlampe leuchtet durch den Gang aus Lochblech hinunter auf den Bühnenboden. Dort recken die Zuschauer die Köpfe, hoffen, einen Blick auf eine Schuhsohle oder einen vorbeieilenden Schatten erhaschen zu können. „Siebter Stock“, tönt es gedämpft von oben. Wie Mäuse auf dem Dachboden rascheln Menschen unterm Gebälk. „Der Schlüssel fällt mir runter“, verkündet eine Frauenstimme.

Bis die Frau endlich die Treppe runtersteigt und aus dem Hörspiel ein Theaterstück wird. Ute Rauwald stellt ihr Publikum auf eine harte Geduldsprobe. Ihre Inszenierung von Roland Schimmelpfennigs erst kürzlich in Stuttgart uraufgeführtem Stück Die arabische Nacht nimmt dessen somnambule Grundstimmung ernst – zu ernst. Sie versetzt den Zuschauer in eine Schläfrigkeit, die nichts mit angenehm faulen Tagträumen in orientalischen Gemächern, mit Palmwedeln und Pfefferminztee zu tun hat, sondern eher mit der Frage, wann man endlich den Frühjahrsputz in Angriff nimmt.

Am Stück selbst kann das nicht liegen. Es erzählt leichtfüßig von den Sehnsüchten der fünf Großstadtmenschen, die sich in einer heißen Juninacht in einem Hochhaus begegnen. Fatima (Caroline Peters), die arabische Mitbewohnerin von Franziska (Ursula Doll), wartet auf ihren Freund Kalil (Jörg Ratjen), der wie jeden Abend nach Sonnenuntergang zu ihr kommt. Dann liegt Hauptmieterin Franziska schon halbnackt im Tiefschlaf auf dem Sofa (hier: in der Badewanne) und träumt, sie wäre eine Haremsdame in Istanbul, die von einer Nebenfrau verflucht wird.

Peter (Christoph Tomanek) vom gegenüber liegenden Hochhaus besucht die Schlafende. Er hat sie zuvor beim Duschen beobachtet und sich in sie verliebt. Magisch angezogen von der leicht bekleideten Blondine ist auch Hausmeister Lomeier (Bjarne Mädel).

Wie sich die fünf gegenseitig anziehen und abstoßen, sich aussperren und einsperren, sich verlieben und töten, das hat bei Schimmelpfennig einen trägen, traumverlorenen Reiz. Gedanken und Träume vermischen sich mit eher profanen Dialogen zu einem angenehm dahinfließenden Wortstrom, den Rauwald auch fast vollständig wiedergibt. Doch die Worte passen nicht zu den Bildern: Kein Sofa, keinen Fahrstuhl, keinen sandfarbenen Teppich stellt Katrin Nottrodt auf die Bühne. Den Malersaal hat sie in einen extrem unwirtlichen Raum, eine Art stilisiertes Eingeweide eines Hochhauses, verwandelt. An dessen Seiten müssen die Zuschauer auf unbequemen flugzeugähnlichen Sitzungetümen ausharren, die Blutzufuhr der Beine wird zusätzlich durch dicke Rohre unterm Sitz abgeschnürt. Der Blick fällt auf Kühlschränke, Waschmaschinen, ein Klo, eine Badewanne zwischen nackten Heizungsrohren, Belüftungsschächten und Treppenaufgängen. Rohe Kälte statt behaglicher Wohnlichkeit.

Ein geglückter Kunstgriff, weil die Diskrepanz zwischen Wort und Bild auch die Kluft zwischen Wunschdenken und Realität dras-tisch bloßlegt. Aber auch ein missglückter Kunstgriff, weil der leises-te Anflug einer schwülen, sehnsüchtigen Stimmung im Keim erstickt wird. Aus Angst, in Klischees zu versinken, lässt Ute Rauwald die Atmosphäre auf den Gefrierpunkt sinken.

In einer großartigen Szene verbinden sich Traum und Realität doch noch zu einer eindringlichen Fata Morgana: Wenn Fatima in der Waschmaschine nach einem Messer wühlt, um Kalil aus Eifersucht zu erstechen, strömt literweise Sand aus dem Gerät. In Kaskaden fällt er auf den einen Stock tiefer stehenden Hausmeister. Der lässt so genießerisch den Sand über seinen Körper strömen, als stünde er nach tagelangem Fußmarsch durch die Wüste endlich wieder unter der Dusche. Da wird es auch dem Zuschauer warm.

nächste Vorstellung: 26. Mai, 20 Uhr, Malersaal

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