: Im Dienst des Landes
Mit Franz Müntefering geht ein Vorsitzender der SPD, der dem klassischen Typus des autoritären Parteisoldaten entsprach. Ein Fortschritt? Nicht, wenn man den Begriff „Parteisoldat“ richtig versteht
VON JAN FEDDERSEN
Diese persönliche Attributierung wird für Funktionsträger aller Parteien angewandt – geboren wurde sie freilich dort, wo es diese Sorte Politiker am häufigsten gibt: die Figur des „Parteisoldaten“. Hartmut Perschau und Wolfgang Schäuble sind für die Union leicht in dieser Hinsicht zu ergoogeln, auch in der PDS finden sie sich (Lothar Bisky), vor allem aber in der Sozialdemokratie. Franz Müntefering gilt als Paradebeispiel. Ihnen allen scheint gemein, das heißt, es wird ihnen unterstellt, sie stellten sich für alles, gleich wie gegen den Strich es ihnen persönlich gehen möge, im Dienste ihrer Partei zur Verfügung. Ein Soldat eben – der Befehle entgegennimmt und sie nicht hinterfragt.
Es sind Menschen, denen Strahlkraft, ja Glaubwürdigkeit ebenso wie Visionen abgesprochen werden, sie seien, ergo, identitätsarm gestrickt – und haben deshalb auch keine gute Presse. Einer wie der Umweltexperte Hermann Scheer beispielsweise muss über sein mediales Echo nicht klagen. Allzeit Sonne im Herzen, Solartechnik im lobbyistischen Koffer, ehrenhaft ökologisch – und „ein Dickschädel, kein Parteisoldat“ natürlich.
Auf sie, nur auf sie kommt es freilich an, um einer Organisation zum Erfolg zu verhelfen. Ein Manager, meinetwegen eine Managerin des Großenganzen. Einer wie Herbert Wehner, ein Stalinist und nach dem Zweiten Weltkrieg ein einpeitschender SPD-Funktionär, ohne Erbarmen linksradikalen Flausen gegenüber oder identitärem Programmgehubere.
Einpeitscher Wehner
Ein Politiker, der mehr als jeder andere Sozialdemokrat die Ankunft seiner Partei (und ihrer Mitgliedschaft) in den Westen, in die demokratisch-bürgerliche Gesellschaft betrieb und erpresste. Das Stichwort hieß „Godesberger Programm“ – und Wehner, kein besonders interessierter Politiker an programmlichen Erwägungen, hatte dieses im Blick.
Eine inhaltliche Substanz, die auf wenige Sätze beschränkt bleibt: Den kleinen Leuten möge es nicht schlecht gehen, alles Weitere ist Sache des politischen Prozesses selbst. Volksfrontallüren waren ihm, klar, fremd: Was sozialistisch aufgejazzte Visionen anbetrifft, hatte dieser Exkommunist so seine eigenen Erfahrungen in der Moskauer Ljubjanka gemacht. Wehner (und alle anderen Parteisoldaten der SPD) wollten nur keine Opposition, nicht dort sein, wo die Musik gespielt werden muss (die herrschenden Verhältnisse!), sondern da, wo dirigiert wird.
Ein Parteisoldat hat also keine Utopien, sondern das Naheliegende im Auge. Meist zeichnen sie sich aus durch eine gewisse Realtüchtigkeit – sie haben sich schon mal die Hände schmutzig gemacht, haben düpiert und gequält: wie es eben ist, wenn man Politik dort macht, wo Macht ist, und nicht nur in Gremien, wie sie die Exjusochefin Andrea Nahles kennt: ein Spielplatzgehege, in dem es nie zum Ernstfall kommt, weil dort alle Theorie gräulich wird.
Stratege fürs Machbare
Einer wie Franz „Münte“ Müntefering war und ist ein Parteisoldat – weil er nicht wie Nahles & Co. aus Politik ein Identitätsspiel macht, sondern es längst (sonst hätte er kein SPD-Parteibuch) hinter sich hat; er pflegt keine Drohungen mit Programmatischem und Illoyalitäten, sondern als Parteisoldat eine Strategie für das Machbare. Müntefering wurde jetzt von der Generation jener ParteigenossInnen erlegt, die Politik nicht mehr als sozialdemokratisches Projekt der Teilhabe der Arbeiterbewegung an der bürgerlichen Gesellschaft erlernen musste, sondern mental ähnlich tickend wie die Grünen als programmatisches Glasperlenspiel ohne anknüpfbaren Sinn und Verstand.
Während Müntefering versuchte, ganz Parteisoldat, seine Partei in der Allianz mit der Union als Teil der neobürgerlichen Gesellschaft (und ihres Staates) mehrheitsfähig zu halten, suchten die Nahles, Wieczorek-Zeuls und andere ihr Heil im Stoßseufzer über jene Realität, die sie selbst nicht ändern können: nicht einmal im Bündnis mit der Linkspartei, der sie sich offenkundig näher fühlen als der Union. „Opposition ist Mist“, sagte Müntefering vor Monaten – und das ist der Unterschied zu seinen Kritikern. Für sie ist Opposition die Labsal, aus der sich wenigstens seelische Macht ableitet: eine von Verlierern, die sie sein möchten.
Walter Benjamin hat die bis heute ungeklärte Frage einst aufgeworfen, warum die Linke stets so machtängstlich vor dem Ziel verharre. Melancholie als Gemütszustand von Heilshoffenden, die nie ernsthaft jenes Ding wollen, das Macht heißt: Bloß nicht schmutzig machen.