piwik no script img

Im Alleingang auf 80 Prozent

■ Berlin geht über Tarifabschluß für öffentlichen Dienst in den neuen Ländern hinaus

Berlin. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen sieht »keine Alternative im Wohle der Stadt«. Er ist nach der gestrigen Senatssitzung fest entschlossen, die Tarife für die 170.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Ostteil der Stadt zum 1. Oktober auf 80 Prozent des Westniveaus anzuheben und damit einen handfesten Konflikt mit der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) einzugehen.

Denn die Arbeitgeber der anderen Bundesländer hatten sich in der Nacht zu gestern mit der ÖTV auf eine Angleichung der Tarife auf lediglich 70 Prozent des Westniveaus geeinigt. Diese Regelung gilt rückwirkend ab dem 1. Mai dieses Jahres und sieht bei einer zwanzigmonatigen Laufzeit eine gestaffelte Steigerung auf 80 Prozent bis zum 1. Juli 1993 vor.

Bei der TdL ist man über das Vorpreschen Berlins »bestürzt«. Einen solchen Alleingang eines Bundeslandes hat es nach den Worten des Geschäftsführers der TdL, Karl-Heinz Kiefer, das letzte Mal vor dreißig Jahren gegeben. Seitdem hätten sich die Länder »immer an die Kleiderordnung gehalten«. Berlins Schritt sei ein »unfreundlicher Akt« und müsse als Ausschluß aus der TdL betrachtet werden. Vor allem in den fünf neuen Bundesländern war das Vorgehen der Berliner Stadtregierung heftig kritisiert worden. Über den Verbleib Berlins in der Arbeitgeberrunde entscheidet nun deren Mitgliederversammlung.

Schon im Vorfeld der Tarifverhandlungen hatte Berlin die übrigen Arbeitgeber durch sein öffentliches Eintreten für einen 80-Prozent- Abschluß verprellt. Dadurch ist in Kiefers Augen die Verhandlungsposition der TdL geschwächt worden. Die von Innensenator Dieter Heckelmann für Berlin geforderte Öffnungsklausel war noch in der Nacht zum Dienstag von den anderen Ländern abgelehnt worden.

Daraufhin machte Diepgen nach der gestrigen Sitzung des Senats deutlich, daß »die Tarifabschlüsse für die Notwendigkeit der Stadt nicht ausreichend« sind. Die soziale Spannung, assistierte ihm Heckelmann, sei »hier nicht auszuhalten«.

Eine Anhebung der Osttarife auf 80 Prozent ab dem 1. Oktober bedeutet eine Mehrbelastung für den Berliner Landeshaushalt von 120 bis 150 Millionen Mark in diesem Jahr. Mit diesem Schritt entspricht der Senat voll der Forderung der ÖTV, die gestern noch davon ausging, daß weitergehende Abschlüsse für Berlin die »stillschweigende Billigung der Arbeitgeberverbände« finden werden.

Diepgen ist sich hingegen sicher, daß es wegen dieses tarifpolitischen Schrittes »eine Fülle von heftigen Attacken gegen den Senat geben wird«. In Anspielung auf die laufenden Verhandlungen über die Bundeshilfe mit der Bundesregierung meinte er, daß Berlin sich »auf allen Feldern in einer klimatisch ungünstigen Zone« befinde. dr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen