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Illusion von Freiheit

Unter allen Wohntypen ist das Einfamilienhaus das teuerste. Und dabei bietet es noch nicht mal Raum für mehr Selbstverwirklichung  ■ Ein Essay von Hans Wolfgang Hoffmann

Mein Heim soll eigen sein. Wer will das nicht? Auf den ersten Blick bietet das Einfamilienhaus ideale Voraussetzungen, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Mit dem Garten drumherum scheint es allen Zwängen enthoben. Das kleine Solitär als Fluchtburg individueller Freiheit, als Hort der Selbstverwirklichung.

Tatsächlich ist das Haus, das man selbst plant, baut, besitzt und benutzt, ein Luftschloß. Funktioniert hat die Fiktion schon in archaischen Kulturen anders, als wir uns das heute vorstellen. Damals war das Eigenheim kein Ein- Mann-Unternehmen. In einem Einfamilienhaus lebte die Großfamilie, mit allen Zwängen, die eine solche Gemeinschaft mit sich brachte. Schon für seinen Bau war die Unterstützung der Nachbarn nötig. Zudem mußte unter dem einen Dach auch erwirtschaftet werden, was man zum Leben brauchte: Zum Nur-Residieren blieb weder Zeit noch Platz.

So eine Lebenseinheit ist auch in unserer individualisierten, arbeitsteiligen Gegenwart eine Utopie, das Nur-Wohnen ein Luxus, den man teuer bezahlt. Von allen Wohntypen ist das Einfamilienhaus der teuerste. Bei gleicher Wohnfläche braucht der Solitär mehr Dach, mehr Fassade, mehr Grundstück und mehr Infrastruktur. Trotz anderslautender Propaganda übernimmt der Staat diese Kosten nicht. Er präferiert diese Wohnform vielmehr, um Geld zu sparen. Alles, was in kollektiveren Wohnformen auf die Gemeinschaft umgelegt werden kann, muß der Eigentümer eines Einfamilienhauses selbst finanzieren, da es letztlich nur ihm zugute kommt.

Für mehr Selbstverwirklichung mag man solchen Mehraufwand gerne in Kauf nehmen. Doch das erweist sich als Illusion. Am deutlichsten wird das am Bauprozeß. Selbst mit anzupacken, Eigenkapital durch Eigenleistung zu ersetzen, rechnet sich allein für den, dessen Verdienstausfall in der Zeit, da er an seinem Haus werkelt, unter dem Lohn des Maurers liegt. Da kaum ein Häuslebauer heute die nötigen handwerklichen Fähigkeiten hat, zieht seine Muskelhypothek den professionellen Bauablauf in die Länge. Ähnliche Zwänge schränken die Gestaltung des Eigenheims ein. Für Häuser gilt dasselbe wie für Kleidungsstücke: Ein Einzelstück ist immer teurer als ein Serienprodukt. Erst in großer Stückzahl rentiert sich der Entwurfsaufwand. Ein Unikat zu planen, lohnt sich – wenn überhaupt – für Leute, die täglich damit befaßt sind: für Architekten. Daß auch sie zumeist nicht in Villen residieren, sollte zu denken geben.

Unterschiede gibt es nur im Design

Doch vielleicht findet sich unter der Vielzahl des Vorgedachten etwas, was genau den eigenen Vorstellungen entspricht. Immerhin bieten die Kataloge der Fertighausanbieter heute Heime in allen erdenklichen Formen und Farben. Doch Schwarzwaldhütte und Katenhus unterscheidet letztlich nur das Design. Wenn heute die Entwürfe von Stararchitekten wie Hans Kollhoff oder Sir Norman Foster bei der Eigenheimtochter des Mönchengladbacher Supermarktgiganten Allkauf Serienreife erlangen, ist aus dem Grundriß, der das Wohnkonzept dahinter abbildet, alles Individuelle getilgt. Selbst wenn das Berliner Büro Nalbach & Nalbach in Biesdorf eine Baureihe nicht mehr aus uniformen Fertighäusern, sondern mit einem Baukasten vormontierter Teile errichtet, können sich Abweichungen nur aufs Ästhetische beschränken. Da man bei Planungsbeginn die zukünftigen Nutzer nicht kennt, muß man sich an den Bedürfnissen der anonymen Durchschnittsfamilie orientieren.

Zudem stellt sich die Frage, ob ein so langlebiges Produkt wie ein Gebäude überhaupt einem Maßanzug nachempfunden sein sollte. Ein Haus ist kein Wegwerfprodukt. Persönliche Befindlichkeiten ändern sich. Gewohnheiten, die einmal in Beton gegossen wurden, lassen sich schwerlich anpassen. Gegen dieses Problem werden heute Ausbaukonzepte propagiert. Doch das „wachsende Haus“ beruht auf einem Denkfehler. Der Wunsch nach einem Eigenheim entsteht, wenn der Wohnbedarf seinen Höhepunkt bereits erreicht hat, in der Regel mit dem Kinderwunsch. Da wir es als einen wesentlichen Schritt zum Erwachsenwerden begreifen, daß sie das elterliche Nest verlassen, entspräche dem Lauf des Lebens eher ein schrumpfendes Haus. Eine Lösung wäre, die Abtretung des nicht mehr benötigten Platzes an einen Untermieter einzuplanen. Solche Konzepte jedoch werden – wie unlängst Salomon Schindlers Vorschlag für Biesdorf-Süd beim Berliner Wettbewerb „Das Städtische Haus“ – ob der nötigen Vorhaltungen von Bauherrenseite in der Regel verworfen. Das bewährte Rezept, aus diesem Dilemma herauszukommen, sind aufs äußerste reduzierte Grundrisse. Sie wird man zum Beispiel im Rahmen der Bauausstellung Berlin 1999 sehen können, die dann ihre ersten Produkte zeigt. Um – wie es der Beiratsarchitekt Dietmar Eberle ausdrückte – „das Potential der Freiheit, das die Freiräume am Stadtrand bieten“ zu nutzen, werden in den Häusern trennende Wände weitgehend eingespart. Statt Zimmerzellen gibt es Großräume, in denen Treppen und Küchenzeilen die Wohnbereiche abgrenzen. Persönlichkeit gewinnen die eigenen vier Wände dabei allein qua Gebrauch. Dem Wunsch nach Individualität der Behausung wird durch ihre Neutralität Rechnung getragen. Selbst wenn der Bauherr die Logik, die dahintersteckt, nachvollzieht, wird er sich fragen, warum er sein Haus dann noch selber finanzieren soll. Denn im Unterschied zum Einfamilienhaus sind alle anderen Wohnformen darauf angewiesen, ihm dasselbe Konzept zu bieten.

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