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Illegale haben keinen Krankenschein

Allein in der Hauptstadt sollen 100.000 illegale Flüchtlinge leben. Wenn sie krank werden, droht ihnen auch die Abschiebung. Jetzt gibt es eine medizinische Vermittlungsstelle für sie  ■ Aus Berlin Miriam Lang

Seit drei Wochen hat Gloria Unterleibsschmerzen. In den letzten Tagen sind sie stärker geworden. Jede andere Frau würde einfach zur Gynäkologin gehen – doch für Gloria ist das nicht ohne weiteres möglich. Die 27jährige Kolumbianerin lebt seit einem Jahr illegal in Berlin. Von einer deutschen Behörde registriert zu werden liefe für sie höchstwahrscheinlich auf eine Abschiebung hinaus. Das heißt, Gloria ist auch nicht krankenversichert – und besitzt auch nicht das Geld, um einen Arztbesuch privat zu bezahlen.

Durch Zufall hat Gloria vom „Büro für medizinische Flüchtlingshilfe“ in Berlin erfahren. Seit zwei Monaten vermittelt es Flüchtlinge und MigrantInnen an ÄrztInnen weiter, die bereit sind, sie kostenlos und anonym zu behandeln. Und die vor allem nicht die bedrohliche Frage nach dem Aufenthaltsstatus stellen.

In dem kleinen Büro, dessen Einrichtung aus einem Tisch, ein paar Stühlen und einem Telefon besteht, erzählt Goria einem Mann und einer Frau von ihren Bauchschmerzen. Sie fügt hinzu, daß sie aufgrund des nervenaufreibenden Alltags als Illegale auch unter einer chronischen Magenschleimhautentzündung leidet. Auch deshalb würde sie sich gern untersuchen lassen.

Der Vermittlungsvorgang ist einfach und unbürokratisch: Die beiden sehen auf einer Liste nach und vereinbaren telefonisch einen Termin für nächste Woche bei einem Allgemeinmediziner, der Glorias Magen behandeln soll. Zur Frauenärztin kann sie gleich heute gehen. Eine Dolmetscherin wird dorthin bestellt, um fachlich präzise zu übersetzen.

Gloria ist nur eine von rund einem Dutzend Flüchtlingen, die jede Woche die Dienste des „Büros für medizinische Flüchtlingshilfe“ in Anspruch nehmen. Die Beratungszeiten werden ehrenamtlich von Leuten abgedeckt, die zum Teil auch beruflich im Gesundheitsbereich tätig sind. „Wir wundern uns selbst, daß die Nachfrage schon so groß ist, obwohl es uns erst seit kurzem gibt und wir sicher noch lange nicht überall bekannt sind“, zieht Jessica Groß, eine der MitarbeiterInnen, eine erste Bilanz. Bei alltäglichen Krankheiten könne meistens geholfen werden. Ungelöst sei bisher die Frage, wie Medikamente, die von den ÄrztInnen nur auf Privatrezept verschrieben werden können, finanziert werden. Doch vor allem sei die Vermittlung von stationären Krankenhausbehandlungen oder Operationen ein Riesenproblem.

Wie viele Menschen illegal in Deutschland leben und es sich deshalb nicht leisten können, krank zu werden, weiß niemand genau. Für Berlin schätzt Barabara John vom Büro der Ausländerbeauftragten ihre Zahl auf etwa 100.000.

Bei den öffentlichen Gesundheitsämtern werden nur ansteckende Krankheiten wie Tuberkulose, Aids oder Geschlechtskrankheiten anonym und kostenlos behandelt. Eine staatliche Maßnahme, die weniger das Wohl illegalisierter Menschen als die Seuchenprävention für die deutsche Bevölkerung im Auge hat. Bevor es in Berlin das „Büro für medizinische Flüchtlingshilfe“ gab, waren Leute wie Gloria im Krankheitsfall auf soziale Beratungsstellen angewiesen, die ihre Kundschaft nicht nach Papieren fragen.

Die Caritas-Beratungsstelle für Obdachlose in der Berliner Levetzowstraße 12a ist eine dieser Adressen. „In den letzten Jahren ist der Ausländeranteil bei den Leuten, die zu uns kommen, ganz erheblich gestiegen“, berichtet Caritas-Mitarbeiterin Regina Thiele. „Das sind abgelehnte Asylbewerber oder Leute, die gar kein Asyl beantragen wollen, weil sie darin keine Chance sehen, aber auch Franzosen und Italiener, die einfach hier gestrandet sind.“ Zweimal wöchentlich hat eine Allgemeinmedizinerin in der Beratungsstelle eine offene Sprechstunde. Ihr kleines Behandlungszimmer ist jedoch nur mit dem Notwendigsten ausgestattet – was häufig zu Problemen in der medizinischen Versorgung führe. „Sobald jemand mehr hat als eine Grippe, wird es problematisch. Bei Ausländern ohne geregelten Aufenthalt übernimmt ja niemand die Kosten, nicht einmal für eine Untersuchung.“ Oft hätten sie auf die Hilfe einiger weniger bekannter ÄrztInnen zurückgreifen müssen und versucht, die Kosten für Medikamente und Behandlung über Spenden abzudecken. Krankenhäuser nähmen Patienten häufig nur dann auf, wenn die Caritas die Bezahlung garantiere.

Die Gründung des „Büros für medizinische Flüchtlingshilfe“ ist für Menschen wie Regine Thiele „eine große Entlastung. In ein paar Fällen haben sie uns schon sehr geholfen. Bisher hat alles immer sehr schnell und gut funktioniert.“

Büromitarbeiterin Groß freut sich über das Kompliment, betont aber: „Uns ist klar, daß wir mit dem Büro das Problem der Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge nicht lösen – und das wollen wir auch gar nicht. Dafür zu sorgen, daß alle Menschen gleichermaßen gesundheitlich versorgt werden, ist eine Aufgabe des Staates.“

Die Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes werden derzeit noch weiter verschärft. Im Februar 1995 legte Bundesgesundheitsminister Seehofer einen Entwurf für das sogenannte Ausländerleistungsgesetz vor, das die Personengruppe erheblich erweitern sollte, für die ärztliche Hilfe nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen möglich sein soll. Ende Oktober 1995 wurde der überarbeitete Entwurf unter dem Namen „Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze“ in den Bundestag eingebracht, im Februar 1996 wurde er dort verabschiedet. Gescheitert ist das Paragraphenwerk kürzlich an der Zustimmung im Bundesrat. Nun liegt es dem Vermittlungsausschuß vor.

Ganz gleich, wie der Vermittlungsausschuß den Konflikt der Parteien nun löst – chronisch kranke Asylsuchende, behinderte Flüchtlinge und Menschen, die bereits vor oder während ihrer Flucht krank wurden, werden weiterhin kein Recht auf medizinische Versorgung haben.

Versuche, diese diskriminierende Regelung praktisch zu unterwandern, gibt es in mehreren deutschen Städten. Eine dem Berliner Büro vergleichbare Initiative existiert in Hamburg seit zwei Jahren. Die wöchentliche Sprechstunde im „internationalen Zentrum“ ist bereits Routine. Rund neunzig PatientInnen konnten im Laufe des letzten Jahres an ÄrztInnen vermittelt werden. In Frankfurt hat eine „AG für medizinische Hilfe“ ein Netzwerk von Beratungsstellen aufgebaut, die ebenfalls Flüchtlinge ohne Berücksichtigung ihres Aufenthaltsstatus an MedizinerInnen weiterleiten.

Zweimal bereits hat der Deutsche Ärztetag, das oberste Gremium ihres Standes, sich in Resolutionen gegen das Asylbewerberleistungsgesetz und seine Novellierung ausgesprochen – bislang ohne großen Erfolg. „Die Aufforderung an uns Ärzte, Patienten zu selektieren nach dem Kriterium Asylbewerber oder nicht, verstößt gegen das Standesrecht und gegen den hippokratischen Eid“, kritisiert der Allgemeinmediziner Dr. Wolf Bergmann, der in Freiburg mit KollegInnen bereits Anfang 1994 eine Initiative „Ärzte gegen das Asylbewerberleistungsgesetz“ gegründet hat.

„Wir können ärztliche Entscheidungen und ärztliches Gewissen nicht an Bürokratien abtreten, die auf diesem Gebiet überhaupt nicht kompetent sind“, betont Dr. Bergmann.

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