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■ Die AnderenIl Messaggero, Nepszabadsag, Dagens Nyheter und Die Presse zum CDU-Parteitag und zur Kohl-Nachfolge

Der CDU-Parteitag und die Ernennung Wolfgang Schäubles zum Kohl-Nachfolger wird auch im Ausland aufmerksam verfolgt. Die italienische Zeitung „Il Messaggero“ kommentiert: Es war fast wie eine Angelegenheit unter Freunden. Aber Schäuble kann alles in allem seinen Traum vom Kanzleramt zunächst mal in der Schublade verschwinden lassen – diese „Versuchung“, von der er noch zu Beginn des Jahres gesagt hatte, daß er „ihr nicht widerstehen könnte“. Für die Christdemokraten ist der Wahlsieg im nächsten Jahr nicht sicher. Wenn sie ihn aber erringen, regiert Kohl für weitere vier Jahre, er wäre dann 20 Jahre an der Macht. Schäuble wäre also erst danach an der Reihe, im Jahr 2002.

Die ungarische Tageszeitung „Nepszabadsag“ schrieb gestern in Budapest: Der Leipziger Parteitag und Helmut Kohl blieben ohne Visionen, womit der Widerspruch zwischen den zukunftsschwangeren Kongreßparolen und dem in dieser Partei vorherrschenden Geist der Unbeweglichkeit und Unveränderbarkeit auf die Spitze getrieben wurde. Daß die Kinder in der Schule wieder beten lernen sollen – darin erschöpfte sich an der Schwelle zum 21. Jahrhundert das innovative Ideenpotential des Kanzlers und Parteivorsitzenden. Da stößt sich auch keiner mehr daran, wenn er verkündet, daß die Zeit drängt und gehandelt werden müsse. Wer hat ihn bisher daran gehindert?

Die schwedische Zeitung „Dagens Nyheter“ rückt Europa in den Vordergrund: Vielleicht hat Deutschland keinen Bedarf an Helmut Kohl mehr. Die EU aber braucht ihn, wenn es mit Europa nicht bergab gehen soll. Die meisten begreifen, daß seine überzeugte Anhängerschaft eines wirklichen Kooperations- und Integrationskurses wichtig für einen guten Start der Währungsunion als nächstem Schritt ist. Unter seinen Landsleuten aber wird ihm nur die Verantwortung für eine dumpfe Stimmung im Lande mit Tendenz zu Niedergang und Lähmung gegeben. (...) Kohl liegt in den Meinungsumfragen hinten und wird es schwer haben, die Stimmung zu wenden. Und dennoch: Kohl ist die einzige Trumpfkarte der Partei.

In Österreich urteilt „Die Presse“: Daß Kohl den Schäuble-Vorstoß machte, mag auch darauf zurückzuführen sein, daß ihm die Gerüchte nicht entgangen sind, die in den weitläufigen Wandelhallen der Neuen Leipziger Messe die Runde machten. Gerüchte, wonach der „ewige Kronprinz“ seine Rolle zu spielen gehabt habe, um die Nachfolgediskussion für die Nach- Kohl-Ära niederzuhalten, und angebliche Meinungsumfragen, wonach viele Deutsche sich einen Rollstuhlfahrer nicht als Bundeskanzler vorstellen könnten und Schäuble nur den Parteivorsitz übernehmen solle. Mit seiner Äußerung zur Nachfolge belebte Kohl jedenfalls die Debatte um seine eigene Zukunft und den passendsten Zeitpunkt für die Übergabe.

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