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■ Welt Weit Grönling„Ihr seid ja so bekloppt ...“

Kurz vor der Sendung hat noch jemand die Geburtstagstorte für WDR-Intendant Pleitgen in die Kamera gehalten. Das war die letzte schöne Idee an diesem Abend – Punkt null Uhr wurde es mit einem Schlag peinlich. Vielleicht hätte ich an dieser Stelle abschalten sollen, aber dann juckte es mich doch. Ich wollte sehen, was der WDR in seiner Mammutshow „Esc@pe – die Nacht im Netz“ alles zu erzählen hat. Sechs Stunden Internet! Im Fernsehen! Was hätte man da alles machen können! Zum Beispiel Anfängern in aller Seelenruhe erklären, wie das alles funktioniert. Doch, es gibt sie noch, die Anfänger ...

Statt dessen Peinlichkeiten am laufenden Band. Die erste gleich am Anfang, als ein Moderator einen Zusammenhang zwischen den Ohmschen Gesetzen und dem Internet herstellte. Die Kollegin verstand das nicht so recht, fragte nach – und erntete betretenes Gestammel. Und warum müssen die mich, den Zuschauer, so anbiedernd duzen? Nur weil es ums Internet geht? In den Newsgroups habe ich damit kein Problem. Aber mit Moderatoren einer Fernsehshow bin ich immer noch per Sie. Doch es kommt noch toller: Da haben sie drei Reportern Satelliten-Videotelefone gegeben und sie in ferne Länder geschickt. Dort durften sie dann abwechselnd und live allerlei blödsinnige Aufgaben erfüllen, etwa die Fischer von Beruwala, Sri Lanka, dazu bringen, ein deutsches Volkslied zu singen. Offenbar wußten die Reporter nicht, was auf sie zukommt, und einer brachte es auf den Punkt: „Ihr seid ja so bekloppt.“

Es gab auch allerlei prominente Studiogäste. Die hatten zwar keine Ahnung, durften aber genau damit kokettieren. Die Expertenrunde nebenan (ein Grrl, ein Spezialist, ein Anwalt und ein Guru) war zwischendurch ganz interessant. Aber warum müssen Moderatoren immer abwürgen, sobald es spannend wird? Stundenlange Experimente mit einem Roboter wurden von niemand im Studio verstanden, dafür gab es „Klausi goes online“ – eine Art überdrehte Soap-opera, bei der nur die Idee gut war. Informativ waren nur die Filmbeiträge des Autors Jörg Schieb – aber der ist nicht beim WDR.

Sex, Viren, Hacker – daß es mit dem Internet-Verstand in den Redaktionsstuben öffentlich-rechtlicher Fernsehsender nicht allzuweit her ist, hatten wir hier schon öfter. Aber irgendwie müssen sie spüren, daß ihnen das Netz langsam das Wasser abgräbt. Sonst würden sie nicht solche infantilen Mammutsendungen produzieren. Torschlußpanik? Dieter Grönling

dieter@taz.de

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