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Ideologische Zwänge

■ Im Iran haben sich bei den Parlamentswahlen die "Pragmatiker" durchgesetzt

Ideologische Zwänge Im Iran haben sich bei den Parlamentswahlen die „Pragmatiker“ durchgesetzt

Seit Freitag frohlockte der Teheraner Norden, wo die Taghuti, die westlich orientierten Reichen leben. Die Wahlergebnisse liegen noch nicht vor. Doch bereits zeichnet sich der Wahlsieg der persischen Girondisten ab. In fast allen großen Städten sind „Freunde“ des Staatspräsidenten Rafsandschani als Sieger hervorgetreten. Der Triumph der Pragmatiker war längst vorbereitet. Auf Geheiß des „Wächterrats“, des höchsten Organs der Legislative, waren die schiitischen Jakobiner „enthauptet“ worden. Die Anführer der Zeloten waren als „ungeeignet“ von den Parlamentswahlen ausgeschlossen. Dies wäre zu Zeiten Ayatollah Khomeinis nicht denkbar gewesen. Der verstorbene Iman war stets um Ausgleich zwischen den rivalisierenden Richtungen bemüht.

Vier Jahre lang war das Madschlis Islamy, das islamische Parlament, eine Domäne der Radikalen, die den Antiamerikanismus auf ihre Fahnen geschrieben haben. Von der Tribüne Madschlis aus traktierten die selbsternannten Testamentsvollstrecker des verstorbenen Khomeini Rafsandschani und seine Regierung. Sie warfen ihm Kumpanei mit dem „US-Teufel“ und Verrat an der Revolution vor. Dank ihrer parlamentarischen Mehrheit gelang es den Islamisten, alle Schritte in Richtung politische Normalität zu blockieren.

Ob es den iranischen Realos gelingt, mit Hilfe eines fundamentalistischen freien Parlaments eine sichtbare Wende herbeizuführen, ist keineswegs sicher. Nicht alles Übel in der islamischen Republik ist auf das radikale Lager zurückzuführen. Vor allem das wirtschaftliche Desaster, von dem das Volk am meisten geplagt ist, liegt im Wesen des klerikalen Staates selbst. Der Boden des islamischen Staates ist für das materielle Glück nicht gedeihlich. Echte Reformen setzen nämlich die Abschüttelung der ideologischen Zwänge sowie rationale Machtstrukturen voraus. Abschied von Prämissen der Revolution stellt aber den schiitischen Gottesstaat als ganzes in Frage. Das wagt keiner von den Mullahs, auch nicht Ali Akbar Rafsandschani. Für ihn wie für alle anderen Turbanträger ist der Erhalt der klerikalen Macht das höchste Gebot. Ahmad Taheri

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