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Idealisiertes Bild

■ betr.: „Kommt doch rüber, an ost deutschen Unis sind noch Plätze frei“ von Alfons Söllner, taz vom 3.12. 97

Lieber Herr Söllner, Sie mögen ja über die Chemnitzer Zustände informiert sein, aber das idealisierte Bild, das sie von nicht überfüllten ostdeutschen Universitäten zeichnen, entspricht der Realität dann doch wohl nicht ganz. Auch im Osten gibt es Studis, die wahrlich unter einer Überfüllung ihres eigenen Studienganges zu leiden haben, und es mutet dann doch seltsam an, daß sich – um nur einen Vergleich heranzuziehen – in Jena Studierende viel früher als an der westdeutschen Tübinger Massenuniversität Gedanken über einen Streik gemacht haben. Da muß doch dann auch irgendwas nicht stimmen, und ihre böse Ahnung, daß das Recht auf Demonstration und Meinungsfreiheit im Osten noch nicht ganz verstanden worden ist, das hätten Sie als einen für Sie zwar nicht maßgeblichen, aber immerhin doch erwähnenswerten Grund ruhig aus der Diskussion herauslassen können.

Studieren im Osten ist genausowenig ideal wie im Westen, denn die Grundausstattung ist in manchen Fachbereichen bedeutend schlechter als im Westen, die Infrastruktur an den Universitäten oftmals auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Mit Ihrer Forderung, nach drüben zu kommen (das mit dem „Drüben“ ist zwar immer noch Realität, deswegen sollte man es aber nicht immer wieder beschwören und zementieren), ist der Konflikt um die Bildung in Deutschland nicht an seinem eigentlichen Punkt wahrgenommen und hilft in der Diskussion überhaupt nicht weiter, sondern verlagert das Problem nur beziehungsweise verharmlost es.

Und noch eine kleine, ganz subjektive Anmerkung am Rande: Die ostdeutschen Uni-Städte haben zwar nicht immer den heimeligen Charme von Heidelberg, Tübingen oder Marburg, aber daß die studentische Subkultur dort weniger gut ausgebaut sein soll als im Westen, ist schlichtweg falsch. Sie ist vielleicht ein bißchen anders, als wir das aus den alten Bundesländern gewohnt sind, aber von der Qualität her durchaus adäquat. Ines Fischer, ehemals Studentin

in Jena, Tübingen

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