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Archiv-Artikel

„Ich will kein Feind sein“

Er ist einer der bekanntesten Aids-Aktivisten Chinas. Eigentlich sollte sich die Regierung über sein Engagement freuen. Stattdessen aber wird ihr ehemaliger Angestellter Wan Yanhai unter Druck gesetzt und verhaftet. In seinem letzten Verhör musste er versprechen, sein Herz der Regierung zu widmen

Wan Yanhai (43) ist einer der prominentesten Aids- und Menschenrechtsaktivisten in China. Seine direkte und unverhohlene Kritik an den staatlichen Behörden im Umgang mit Aids hat dazu geführt, dass er in den vergangenen zwölf Jahren drei Mal im Gefängnis saß. Wan ist Leiter des regierungsunabhängigen Instituts Aizhixing. Aizhixing leitet sich von der chinesischen Bezeichnung für Aids (Aizhibing) ab und setzt sich aus den chinesischen Schriftzeichen für Liebe, Wissen und Aktion zusammen. Wan hat das Institut unter anderem mit dem anderen prominenten Aids-Aktivisten Hu Jia Mitte der 90er-Jahre gegründet. Wan hatte zuvor in einer staatlichen Gesundheitsbehörde gearbeitet. Er wurde gefeuert, nachdem er eine Hotline für HIV-Infizierte gegründet hatte.In China gibt es offiziellen Angaben zufolge rund 700.000 Menschen, die mit dem HIV-Virus infiziert sind, die Dunkelziffer jedoch liegt wahrscheinlich höher. Etwa 75.000 der HIV-Träger sind an Aids erkrankt. Obwohl einem offiziellen UN-Bericht zufolge die Aids-Rate in China nicht übermäßig hoch ist, breitet das Virus sich vor allem in den bevölkerungsreichen Küstenregionen rasant aus.Das Interview mit Wan Yanhai führte die taz im Vorfeld der Olympischen Spiele. Beim Fototermin vergangene Woche in Peking war Wan mit gepackten Koffern auf dem Absprung. Er sah sehr blass aus. Auf die Frage, wohin er fahre, antwortete er nur, dass er für sechs Wochen auf „Dienstreise“ sei.

INTERVIEW FELIX LEE UND CHARLOTTE SU

taz: Herr Wan, viele Ihrer Mitstreiter werden kurz vor den Olympischen Spielen unter Druck gesetzt – haben Sie keine Angst?

Wan Yanhai: Ich nicht, aber meine Familie macht sich große Sorgen und hofft, dass ich mich nicht so einbinden lasse. Ich antworte ihr, dass schon mein Einfluss auf meine letzten Verhaftungen nicht groß war. Ich hatte nichts verbrochen und den Behörden versichert, dass ich niemandem und schon gar nicht China schaden möchte. Trotzdem wurde in mir eine Bedrohung gesehen.

Sie betreiben Aufklärungsarbeit zu Aids. Was macht Sie für die Regierung so bedrohlich?

So genau weiß ich das auch nicht. Es muss wohl mit unserer Art der Arbeit zu tun haben. Als vor kurzem die Pionierin der Aids-Aufklärung Dr. Gao Yaojie unter Hausarrest gestellt wurde, haben wir mit Petitionen protestiert. Wir wandten uns an Anwälte, und auch Journalisten hatten wir kontaktiert. Angst bereitet der Regierung wahrscheinlich auch, dass wir im ganzen Land sehr gut vernetzt sind und auch viel Unterstützung aus dem Ausland erhalten.

Aber sollte die Regierung nicht froh sein, dass Leute wie Sie sich überhaupt des Problems Aids annehmen?

Das würde man in jedem anderen Land erwarten. Und in gewisser Hinsicht tun das einzelne Behörden in Peking auch. Unser Problem ist, dass die Regierung den Umgang mit zivilgesellschaftlichen Kräften nicht gewohnt ist. Sie schicken Agenten der Staatssicherheit und der Polizei auf uns los, die sonst Kriminellen auf der Spur sind. Wir sind aber nicht kriminell. Wir sind auch keine Staatsfeinde. Ich habe bei meinen Verhören immer wieder versichert, dass ich mit meiner Aids-Arbeit keinen Umsturz plane.

Und warum glaubt Ihnen die Regierung nicht?

Ihre Philosophie lautet: Herr Wan, Sie haben großen Einfluss. Wenn Sie nicht mit uns kooperieren, sind Sie unser Feind. Ich antworte dann, dass ich gerne ihr Freund sein würde. Das Problem aber ist, dass sie definieren, was ein Freund ist. Und das heißt für sie, den Befehlen der Führungskräfte zu gehorchen. Ihr Verständnis von Freundschaft kennt keine Kritik. Für sie ist ein Freund ein Hund. Und ich soll mich wie ein Hund verhalten. Aber dazu bin ich nicht bereit.

Drei Mal sind Sie bereits für längere Zeit in Haft gewesen. Wie wurden Sie behandelt?

Ganz unterschiedlich. Beim ersten Mal wurde ich von der Staatssicherheit festgenommen. Vier Wochen saß ich in einem Gefängnis. Nachdem sie mich wieder freiließen, waren die Agenten sehr freundlich zu mir. Ich hatte den Eindruck, dass sie mein Anliegen verstanden haben. Bei meiner zweiten Festnahme war es die lokale Polizei. Sie steckten mich für drei Tage in ein Gefängnis. Diese Haft war sehr schwierig, weil die Beamten dort mein Anliegen nicht verstanden haben. Die Agenten der Staatssicherheit sind klug, ich konnte mit ihnen diskutieren. Die Beamten von der Polizei hingegen folgen dumpf den Anweisungen von oben. Sie waren sehr unfreundlich zu mir.

Wurden Sie geschlagen?

Als die Staatssicherheit mich vor sechs Jahren zum ersten Mal verhaftet hatte, wurde ich auch physisch misshandelt. Die Polizei setzt mich psychologisch unter Druck. Das ist auch schlimm.

Herr Wan, was hat Sie überhaupt zur Aids-Arbeit gebracht?

Ich habe in den 80er-Jahren Gesundheitswesen studiert. Damals beschäftigte ich mich auch mit Aids. Auch für die weltweit wachsende Aids-Bewegung interessierte ich mich. Später habe ich bei einer staatlichen Gesundheitsbehörde gearbeitet und war zuständig für Aids-Aufklärungsarbeit. 1994 wurde ich gefeuert, weil ich eine Aids-Hotline gegründet hatte. Daraufhin habe ich das Institut Aizhixing mitgegründet, um unabhängig von den Behörden Aids-Aufklärung zu betreiben.

Sie sprechen von einer Aids-Bewegung. Hat es in den 80er-Jahren auch in China schon eine Aids-Bewegung gegeben?

Nicht in China, aber als Medizinstudent hatte ich Zugang zu Publikationen der Weltgesundheitsorganisation. Am Anfang war es auch noch relativ einfach, an Informationen heranzukommen. Denn damals hatte die Zentralregierung Aids noch als ein Problem aus dem Westen abgetan.

Wussten Sie zu diesem Zeitpunkt bereits, dass es Aids in China gibt?

Aber sicher. In den Nachrichten wurde über drei Aids-erkrankte Homosexuelle in der Provinz Zhejiang berichtet, 1985 gab es die ersten offiziellen Fälle in Peking. Berichtet wurde auch über Hunderte von Drogenabhängigen in der Provinz Yunnan. Doch zu der Zeit wurde Aids vor allem als eine Krankheit gesehen, die von Ausländern eingeschleppt und mit dem ausländischen Lifestyle in Verbindung gebracht wurde. Offiziell hatten wir ja keine Homosexuellen, keine Drogenabhängige und auch keine Prostitution. Als dann 2000 der Skandal um die infizierten Blutspender in der Provinz Henan aufkam, saß der Schock tief. Arme Bauern hatten Blut gespendet und wurden mit dem Virus infiziert. Seitdem ist klar, dass Aids auch auf dem Land ein Problem ist.

Wie ist es heute?

Sehr transparent wird über Aids-Skandale zwar auch heute nicht berichtet. Aber die Behörden sind offener geworden. Das Problem ist auch nicht, dass es der Regierung an Erkenntnis fehlt. Die Bürokratie, die Korruption, die Uneffizienz des staatlichen Gesundheitssystems – das sind die Probleme. Zudem hat die Regierung kein Gespür für die Individuen.

Zum Beispiel?

Sie hat zwar erkannt, wie wichtig Aufklärungsarbeit bei Prostituierten ist. Und dafür hat sie uns auch Geld zur Verfügung gestellt. Doch zugleich will sie, dass wir von den Prostituierten sämtliche Daten einholen und weiterleiten. Prostitution ist in China offiziell nach wie vor verboten. Ich soll sie um ihre Unterschriften bitten, aufschreiben, wo und wie sie arbeiten, und nach ihren Telefonnummern fragen. Diese Forderung ist total lächerlich und zeigt, dass die Regierung sehr unsensibel an das Problem herangeht.

In China arbeiten inzwischen viele Nichtregierungsorganisationen – ohne die Zentralregierung zu kritisieren. Könnten Sie das beim Thema Aids nicht auch tun?

Wir haben es versucht. Beim Skandal um die Blutkonserven in Henan zum Beispiel haben wir uns auch nur darum bemüht, dass die Opfer eine Entschädigung erhalten. Doch die Behörden weigerten sich und wollten das Problem vertuschen. Sollen wir in diesem Moment schweigen? Schon galten wir als Staatsfeinde.

Es scheint kein Zufall zu sein, dass sich die Menschenrechtsfrage momentan vor allem am Thema Aids festmacht. Auch der bekannte Anwalt Hu Jia, der seit Anfang des Jahres in Haft sitzt, ist Aids-Aktivist.

Ich kenne Hu Jia sogar sehr gut. Drei Mal wurde ich im vergangenen Jahr festgenommen, zwei Mal wegen meiner Kontakte zu ihm und weil ich mich für ihn eingesetzt habe. Bei beiden Malen wusste ich zunächst gar nicht, was die Behörden von mir wollten. Das letzte Mal, Ende Dezember, hielten sie mich 30 Stunden lang fest. Beim Verhör musste ich versprechen, mein Herz der Regierung zu widmen und mich an alle ihre Regeln zu halten. Erst später hatte ich mitbekommen, dass Hu Jia festgenommen wurde. Hu Jia ist einer der vier Gründer unseres Instituts, und zusammen mit seiner Frau hat er uns jahrelang unterstützt.

Befürchten Sie, dass Ihnen Ähnliches bevorsteht wie ihm?

Ich weiß es nicht. Das ist ja das Schlimme. Es ist diese Willkür, die diese Regierung so unberechenbar macht.

Über Hu Jias Verhaftung wurde weltweit berichtet. Glauben Sie, die Solidaritätsbekundungen aus dem Westen helfen Hu Jia? Oder könnte es sein, dass die Regierung in eine Trotzhaltung verfällt und umso rigoroser mit ihm umgeht?

Die internationale Unterstützung ist für uns sehr wichtig. Die Regierung verliert ihren Ruf, und zunehmend bemerkt sie das auch. Allein wie viel Aufwand sie bei Hu Jias Verhaftung betrieben haben, zeigt, wie sie hin und her lavieren. Sie hatten zwischendurch auch schon mal versucht, ihn mit Kuchen und Früchten auf ihre Seite zu ziehen. Nun attackieren sie ihn wieder und schüchtern ihn ein. Es gibt inzwischen auch innerhalb Chinas eine sehr starke Bewegung, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt. Und wir werden einflussreicher. Ich sehe in Hu Jias Fall einen Wendepunkt.

Inwiefern?

Die Regierung hat gedacht, es genügt, Hu Jia mundtot zu machen. Nun aber stehen in China viele auf und unterstützen ihn. Und auch Tibet lässt die Menschen nicht mehr kalt.

Aber das große Erdbeben im April hat von Tibet und Hu Jia auch wieder abgelenkt.

In gewisser Weise ja. Und klar, die Bevölkerung ist patriotisch und solidarisch. Doch die Leute solidarisieren sich nicht mit der Regierung, sondern mit den Opfern. Das ist ein Unterschied.