: „Ich war IM!“
■ Die Fragebogen gehen um: Ziel — Säuberung? Aufarbeitung? Abwicklung?
Erich Honecker sagte in einem Interview Anfang 1990, daß sich die Stasiberichte wie die Artikel der Westpresse gelesen hätten. Ein Pfarrer, der die Dresdner Stasizentrale mit aufgelöst hat, äußerte im Fernsehen, die Stasiberichte wären sehr realitätsnah gewesen. Woher kam diese Realitätsnähe? Gesammelt ausschließlich von blinden, verbohrten und brutalen Verbrechertypen — Abschaum? Die muß es wohl auch gegeben haben — und nicht zu knapp, wie ich heute zu glauben gezwungen bin. Dieses Eingeständnis allein tat weh.
Ich war als IM insgeheim stolz, „denen da oben“ auf diesem Wege mal reinen Wein einschenken zu können über die Lage im Lande. Wenn die Hauptamtlichen — das Wort Führungsoffizier kenne ich erst seit einem Jahr — hinter Produktionseinbrüchen Sabotage vermuteten, habe ich ihnen mehr als einmal die wirtschaftlichen Prozesse erläutert, die fast zwangsläufig dazu führen mußten. Oft hatten wir davon nur schemenhafte Vorstellungen.
Als der Freidenkerverband im Entstehen war, habe ich das begrüßt. Ich sah darin eine Möglichkeit, die gesellschaftliche Lethargie mit Diskussionen verschiedener Meinungen zu durchbrechen. Hinterher stellte ich fest, daß die Firma sich über mein Engagement gefreut hat — ich war ja von mir aus hingegangen. Meine Gespräche mit den Hauptamtlichen — es gab nur wunderselten schriftliche Berichte oder etwas in der Art — dokumentierten zumeist vielfältige Übereinstimmung zwischen den opponierenden Geistern und mir. Letztlich stimmte auch der Führungsoffizier noch zu, und wir wunderten uns gemeinsam über die vollkommene Unbeweglichkeit unserer Altenriege. Daß das bewußte und dumpfe Ignoranz war, konnte und vor allem wollte ich damals nicht begreifen oder wahrhaben. Es war mir schlicht unvorstellbar.
Nie habe ich für Geld gearbeitet oder andere Vergünstigungen. Ich habe weder an Türen gelauscht noch Briefe geöffnet, und wenn ich nach Personen gefragt wurde, kannte ich sie in den meisten Fällen überhaupt nicht. Bei den wenigen Personenauskünften hatte ich immer ein ungutes Gefühl, beruhigte mich aber zumeist damit, daß fast jeder Staat im Verborgenen bestimmte Prozesse ermittelt, und wenn ich über Bekannte etwas berichtete, hätte kein Inkompetenterer Falsches von sich geben können. Zugegeben, es war naiv, dieses Bemühen um Objektivität.
Einmal allerdings habe ich ein Pärchen, daß mich längere Zeit zu den Vorstellungen der Zeugen Jehovas bekehren wollte, verfolgt, weil ich wissen wollte, wer sie sind. Ich halte diese Sekte mit ihren Dogmen und Drohungen für den Fall der Nichtbefolgung auch heute noch für gefährlich, bin mir aber sicher, daß diesen Leuten nicht mit geheimdienstlichen Methoden beizukommen ist. Heute schäme ich mich für diese Aktion.
Ich habe vieles falschgemacht, aber sicher nicht alles. Ich wollte helfen, die Ordnung, die die sozialistischen Ideale trägt, zu errichten. Und ich wußte, daß es dabei Gegner gab, deren Handlungsantrieb nicht die reine Menschenliebe war. Was wir damals als Gesellschaftsordnung hatten, hielt ich für den kleinen, mickrigen, unvollkommenen Anfang einer grundlegenden Alternative zum Kapitalismus jeglicher Erscheinungsform. Die erkennbaren Keimformen verteidigte ich auch stets in aller Offenheit. Ich habe mich auch nicht ins Vertrauen anderer Leute durch eigenes Verstellen eingeschlichen. [...]
Ich will das MfS nicht zum Hort des Widerstandes erklären, aber ich habe Angst: nicht vor den berechtigten Vorwürfen, sondern vor der pauschalen Schelte — ohne Chance zur Verteidigung. Ich kann mir keine Medien kaufen. Ich
(für einige, vielleicht sogar viele andere)
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