: „Ich tröste Mütter“
■ Trauerfeiern oder Der schwierige Abschied von den Freunden
Das traurige Amazing grace kommt derzeit in Berlin zu neuen Ehren. Man hört es viel zu oft. Es gehört zu den beliebtesten Musikstücken bei „selbstorganisierten nichtkirchlichen Trauer- und Gedenkfeiern von Freunden und Bekannten von Menschen mit Aids“. Der Titel ist nicht von ungefähr so furchtbar lang geraten. Er drückt aus, wie schwierig es ist, über dieses Kapitel der Krankheit Aids zu reden. Axel Krause von der Deutschen Aids-Hilfe versuchte es dennoch. Er hielt den bewegendsten Vortrag des Münchner Aids -Kongresses über den schwierigen Abschied von verstorbenen Freunden.
Es ist verständlich und naheliegend, daß die meisten Aids -Opfer nicht von jener Organisation beerdigt werden wollen, die wie keine andere für die Diskriminierung Homosexueller steht: der Kirche. Andererseits, so Axel Krause, ist für viele die Vorstellung unerträglich, den Leichnam ohne vorhergehende Feier einfach verbrennen zu lassen. So wird denn versucht, eigene Trauerfeiern zu organisieren, „zaghaft einen seren eigenen Weg zu gehen“.
Wie man so etwas macht, erklärte Axel Krause ganz konkret und liebevoll. Er las geeignete Gedichtfragmente von Lasker -Schüler und Celan, las letzte Briefe an die Toten und berichtete von Experimenten vergangener Trauerfeiern.
Im folgenden einige Auszüge aus dem Vortrag von Axel Krause:
„Es kommen hauptsächlich Freunde und Bekannte der Toten. Unter ihnen sind Menschen mit HIV und Menschen mit Aids, die in ganz besonderer Weise vom Tod ihres Freundes betroffen sind. Die Anwesenheit von sichtbar schwerkranken Menschen prägt die Feier besonders stark. Für mich ist es die größte Herausforderung, diesen Menschen eine Anwesenheit zu ermöglichen, die nicht zu schmerzlich ist. Dem Verlust des Freundes steht im Sarg auch der eigene Tod vor Augen und immer wieder das Schuldgefühl, den anderen überlebt zu haben.
Während Pfarrer in der Regel die kirchliche Trauerfeier als Feier für die anwesende Trauergemeinde verstehen, habe ich mich immer bemüht, nicht zu vergessen, daß der Tote noch unter uns ist. Man kann den Toten im Sarg ja auch anreden. Der Tote ist zwar tot, aber in uns ist er sicher noch lebendig, und von daher empfinde ich das Ansprechen des Toten als angemessen.
Die Familienangehörigen sind meist nur in geringer Anzahl vorhanden. Das liegt entweder daran, daß kein Kontakt mehr zu ihnen bestand oder daß am Heimatort des Toten noch eine stille Beisetzung stattfand. Meistens sind die Mütter zugegen. Das ganze Ausmaß der Aids-Krise wurde mir neulich wieder bewußt, als ich ausrief: Ich tröste Mütter! Wo ich mich doch selbst trostbedürftig empfinde.
Nicht zu vergessen all diejenigen, die nicht kommen, weil sie unsagbare Angst vor Aids, vorm Ausbruch der Krankheit und vorm Sterben haben. Was Martin Dannecker als kollektives Trauma bezeichnet hat, trifft die psychische Verfassung, in der die meisten der anwesenden und auch nicht anwesenden Menschen sich befinden. Darauf habe ich als Antwort bisher nur einen Wunsch gefunden: Ich wünsche uns allen Mut und Kraft, unser Leben weiterzuleben. (...) Mein Tun verstehe ich immer deutlicher als Hilfe zum Weiterleben.“
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