: „Ich liebe Popmusik“
Lo-Fi Die Berliner Indie-Institution Kitty Solaris ist Musikerin, Labelbetreiberin und Konzertveranstalterin. Schon fast seit 20 Jahren. Im Klunkerkranich stellt heute sie ihr aktuelles Album „Silent Disco“ vor
von Jens Uthoff
Wer sich in den vergangenen zwanzig Jahren in den kleineren, lauschigeren und oft auch dreckigeren Clubs dieser Stadt herumgetrieben hat, wird dieser Frau schon mal begegnet sein. Etwa wenn sie, mit Strichliste und Kasse bewaffnet, am Eingang des Schokoladens in Mitte stand und Stempel verteilte. Oder wenn sie das Publikum von der Bühne aus, die Fender-Gitarre umgehängt, zum Tanzen aufforderte. Möglicherweise hat man aber auch einen Tonträger erworben, der auf ihrem Label veröffentlicht wurde.
One-Woman-Pop-Firma
Die Rede ist von Kirsten Hahn, die man eher unter ihrem Künstlernamen Kitty Solaris kennt. Die gebürtige Hessin ist so etwas wie eine One-Woman-Pop-Firma mit mehreren Subunternehmen: Als Musikerin hat sie seit der Gründung ihrer eigenen Band Anfang der nuller Jahre sechs Alben veröffentlicht. „Silent Disco“, das gerade erschienene neueste Werk, stellt Kitty Solaris am heutigen Donnerstag nochmals im Klunkerkranich auf den Dächern über Neukölln vor. Sie selbst bezeichnet ihre Musik als „LoFi-Pop“. Als Labelbetreiberin ist die Mittvierzigerin seit acht Jahren im Geschäft – auf „Solaris Empire“ bringt sie unter anderem ihre eigenen Alben unters Volk. Als Konzertveranstalterin schließlich hostet sie seit etwa zehn Jahren die „LoFi Lounge“ im Schokoladen und holt Bands und Solokünstler – innen! – nach Berlin.
Hahn, eine kleine, blonde Frau, die etwas Taffes und Unbeeindrucktes ausstrahlt, wäre also so etwas wie ein Prototyp der Do-it-yourself-Musikszene Berlins, in das es sie 1994 verschlagen hat, nachdem sie in der hessischen Provinz aufwuchs. Ob sie so etwas wie eine Indie-Institution der Stadt sei, frage ich, als wir uns zum Interview im Acud in Mitte treffen. „Ich mach halt ein paar Sachen schon ein bisschen länger“, sagt sie da nonchalant, „ich weiß nicht, ob ich eine Institution bin. Mir macht das einfach immer noch Spaß.“
Wenn man bedenkt, dass die Zeiten für unabhängige Labels, Künstler und Veranstalter nicht leichter werden und dass es nicht immer eine Freude ist, Menschen für Neues und Unbekanntes zu begeistern, ist ihr Durchhaltevermögen umso bemerkenswerter. Was sie antreibt? „Ich bin total froh und dankbar, dass mich mit dem Label und als Künstlerin einige Radiosender und Magazine schon seit Jahren unterstützen“, sagt sie, „dazu gibt es viele Fanzines, die mit Herz dabei sind und einen supporten. Deswegen mache ich weiter.“ Auch auf Tour gebe es immer wieder Momente, die ihr zeigten, dass da ein funktionierendes Netzwerk im musikalischen Underground existiere – Hahn spricht von einigen „voll engagierten Clubs“ in Deutschland, in denen sie immer wieder auftrete. Insbesondere freue es sie, wenn diese Female Bands unterstützten.
Das Album: Kitty Solaris: „Silent Disco” (Solaris Empire/Broken Silence)
Live: heute, 7. April, Klunkerkranich, Karl-Marx-Str. 66, ab 16 Uhr, mit Roman Catholics und DJs. Kitty Solaris spielt um 21 Uhr
Die Lofi Lounge: Wieder am 20. April, Schokoladen, 19 Uhr. Bands: Zukunft und die Lichter (Indie/Berlin), Saender (Indie, Köln), Brandon Miller (Indie, Berlin)
Das Label: Frisch auf Solaris Empire erschienen ist die EP „Bonjour la Résistance“ des deutsch-französischen Trios Pari Pari. Ende April folgt die nächste französische Entdeckung, dann erscheint das zweite Album der Indie-/Folk-Künstlerin Pollyanna in Deutschland. Infos: www.solaris-empire.de
Angst davor, sich in den immer gleichen Kontexten zu verlieren, hat Hahn nicht. „Man kann auch kleben bleiben, das kann dann natürlich nervig sein“, sagt sie. „Einerseits ist es toll, Indie und D.I.Y. zu sein, weil du relative Freiheit hast, dein Ding zu machen. Andererseits will man gerne auch mehr Leute erreichen.“ Gerade scheint die Musikerin an dem Punkt zu sein, dass sie sich noch mehr mit anderen Künstlerinnen und Akteurinnen vernetzen will: „Die Szenen berühren sich manchmal zu wenig, sie existieren parallel nebeneinander“, erklärt sie. Und will dazu beitragen, dass sich das ändert.
Als Musikerin hat Hahn immer vorsichtige Wandlungen vollzogen. So bewegte sie sich, inzwischen seit fast 20 Jahren als Kitty Solaris unterwegs, immer weiter weg vom Slacker- und Songwritertum und hin zum Dancefloor: „Pop! Richtiger spießiger Pop!“, ruft sie während des Interviews in den Raum und lacht. „Ich liebe Popmusik!“
Dem aktuellen Album, „Silent Disco“, das sie im Lovelite Studio in Friedrichshain gemeinsam mit ihrem langjährigen Schlagzeuger Stefan Schlosser eingespielt hat, ist diese Liebe anzuhören. „Silent Disco“ ist ein zweigeteiltes Album – zuerst gibt es, in anderer chronologischer Ordnung als im Titel, Discosongs, ehe die ruhigeren Songwriter-Tracks folgen. Mit „Coffee and Cigarettes“ und „Tell Me Something New“ finden sich zudem Lieder auf dem Album, die ziemlich genau in der Mitte zwischen Groove und Songwriter liegen. Die Janusköpfigkeit des Albums lässt sich erklären. Die ersten fünf Stücke hat der befreundete australische Produzent Damian Press gemischt: „Der hat einen ganz schönen Eighties-Touch dazugegeben.“ Von Song sechs an lässt dieser spürbar nach. Ein Stück wie „Ecstasy“ hatte Kitty Solaris bislang noch nicht geschrieben – es wird von eher leichteren Rhythmen mit Einflüssen aus afrikanischen Musiken getragen. Für diesen Input zeichne Produzent Jochen Stroeh verantwortlich, sagt sie.
Thematisch ist vielleicht das Titelstück „Silent Disco“ am auffälligsten, in dem es, ganz simpel, ums Shoppen geht. „Viele Leute versuchen sich ja abzulenken oder zu kompensieren, indem sie einkaufen gehen. Deshalb gefällt mir der Song im Nachhinein wirklich gut. In dem Video dazu spiele ich so’ne Shoppingsüchtige, vollbepackt mit Einkaufstüten.“ Eingefallen sei ihr das Stück, klar, beim Einkauf in einer Mall – „in der Umkleidekabine“. Dort können also auch Hits entstehen.
Wenn man sich einen D.I.Y.-Eigenbetrieb wie den von Kirsten Hahn so anschaut, kann man kulturpolitisch daraus nur die Forderung ableiten, genau dieser freien Szene nicht die Existenzbedingungen nehmen zu dürfen. Man muss nicht die ganze Palette von Berliner Künstlerinnen und Künstlern runterbeten, die schon in der LoFi Lounge gespielt haben, um zu erkennen, wie wichtig Personen wie Hahn für die Szene sind. Sicher, Orte wie der Schokoladen scheinen einigermaßen gesichert, aber inzwischen hat man ja auch seitens des Senats mit dem Musicboard Möglichkeiten der gezielten Förderung.
Denn auch wenn Hahn die „Und davon kann man leben?-Frage wahrscheinlich nicht mehr hören kann, kommt sie im Interview noch zur Sprache. „Natürlich lebst du im Prekariat und hast keine finanzielle Sicherheit. Es ist schon Heavy Stuff, so geht es ja vielen in der kreativen Branche.“ Mit den in der LoFi Lounge veranstalteten Konzerten verdiene sie überhaupt kein Geld. Und was das Label betrifft, so gehört Kitty Solaris schon zu den größten Acts.
Dennoch klingt Hahn optimistisch, die Zeichen stehen auf Öffnung: in Zukunft will sie stärker interdisziplinär arbeiten, und dann geistert da noch eine Schnapsidee in ihrem Kopf herum: ein Album in drei Varianten – jeweils eine Singer-Songwriter-, eine Rock- und eine elektronische Version – zu veröffentlichen, mit den gleichen Songs und unter drei verschiedenen Alias. Die nächste Wandlung der Kitty Solaris steht bevor.
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