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Ich bin ich – oder auch nicht

■ Im Museum Weserburg widmet sich die Ausstellung „could be different“ dem Thema Selbstbildnis in der Moderne

Vor KünstlerInnen ist nichts sicher. Blut, Sperma und Kot, Gott, der Teufel und die ganze Welt, gemalter Wahnsinn und eingelegte Kuhkadaver – kein Thema und kein Mittel, an dem sich all die Damen und Herren im Dienste der Kunst nicht schon vergriffen hätten. Auch vor sich selbst machten die KünstlerInnen vergangener Jahrhunderte nie halt. Von Rembrandt bis Van Gogh reicht die Reihe berühmter Selbstbildnisse; Antlitze, in denen sich zugleich Größe und Tragik jenes Erdenwurms spiegeln, den die Schöpfung zu ihrem glanzvollsten Wurf erklärt hat und der dennoch von der tödlichen Furcht beseelt ist, am Ende aller Tage nicht mehr als bedeutungsloser Staub gewesen zu sein.

Eine siebenteilige Serie von Radierungen mit Selbstporträts Rembrandts ist zurzeit als Leihgabe aus dem Kupferstichkabinett der Bremer Kunsthalle auch im Neuen Museum Weserburg zu sehen – quasi als Hommage an jene alten Tage, als das Selbstbildnis noch ausschließlich der vielsagenden Repräsentation des Künstlers selbst diente. Ansonsten aber widmet sich die von Guy Schraenen kuratierte Ausstellung „could be different“ im Kontrast dazu dem Selbstporträt, wie es sich seit den auch im internationalen Kunstgeschehen revolutionären 1960er Jahren verändert hat.

Am Beispiel des in jener Zeit entstandenen Genres der Künstlerbücher zeigt Schraenen, wie die traditionelle Selbst-Repräsentation in der zeitgenössischen Kunst eine radikale Umdeutung erfahren hat. An die Stelle einer möglichst realitätsnahen Abbildung des eigenen Antlitzes tritt die Selbstinszenierung als Happening oder Performance. Und wo der Barockmaler „ich male mich“ sagte und unverdrossen ans Werk ging, plagen den Künstler der Jetztzeit gewaltige Identitätskrisen gemäß dem Motto: „Ich könnte ein anderer sein, ein anderer könnte ich sein“. Keine einfache Ausgangsposition für jemanden, der ein Selbstbildnis machen will.

Sol LeWitts 27-teilige Serie „Autobiography“ von 1980 löst dieses Problem in der radikalsten aller Formen: Auf seinen Bildern sucht man ihn vergebens. Stattdessen erzählen private Fotos aus seinem rumpeligen Atelier und dem Familienalbum facettenreich die Geschichte eines Abwesenden. Elzze Wellze dagegen ist unübersehbar: Vom Frühstück bis zur abendlichen Bettlektüre dokumentiert er in seiner Fotoserie „Automatic Ambiance“ von 1979 seinen privaten Alltag. Der Ort des Geschehens freilich konterkariert jede Privatheit: In einem öffentlichen Fotoautomaten schläft, pinkelt, liest und futtert Wellze sich durch den Tag, getrennt von der Umgebung durch einen kleinen Fetzen Stoff.

Jozef Robakowski versucht die Selbstbeschreibung über den Umweg der inszenierten Zeitgenossenschaft: Fernsehbilder im Hintergrund der Fotoserie „I have always been at your side“ identifizieren ihn als Bewohner Polens zu Zeiten der prominenten Landsleute General Jaruselski oder Johannes Paul II. Wer Robakowski tatsächlich ist, weiß man dann immer noch nicht – und wer sich hinter der öffentlichen Person Johannes Paul II wirklich verbirgt, fragt man sich mit der Zeit auch.

Selbst-Zweifel also, wohin man in der Weserburg auch blickt. Ob es diese Verzweiflung war, die Timm Ulrichs schon 1975 dazu bewegte, sich als Blinden mit Schild um den Hals zu fotografieren, das die Aufschrift trägt: „Ich kann keine Kunst mehr sehen.“? zott

Weitere Arbeiten von U. Lüthi, R. Opalka, M. Abramovic und anderen sind bis zum 24.9. zu sehen. Infos unter Tel.: 59 83 90 oder www.bremen.de/info/weserburg

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