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„Ich bin eben ein Städter“

■ Vom Leben der Familie Windler und ihrer 70 Milchkühe in der Neustädter Ottostraße

Wäre am Windler'schen Haus in der Neustadt nicht eine große Kuh aufgemalt – man müßte ein wenig nach der Quelle des Stallgeruchs suchen, der die Ottostraße hinunterweht. Denn der Anblick lückenloser Hausfronten gibt den Bauernhof mit Vieh- und Hühnerstall so schnell nicht her.

Aber halt: als „Bauer“ mag Gerhard Windler nicht gelten. Das stellt er gleich klar. „Ich bin ein städtischer Milchviehhalter“, sagt der Besitzer des kleinen Milch- und Zuchtbetriebes in der Neustadt. Als solcher kennt er sich in den Abteilungen der norddeutschen Bauernschaft gut aus – da gibt es wesentliche Unterschiede.

Milchviehhalter beispielsweise besitzen wenig Land. So auch die Windlers. Das brauchten sie auch nicht, als 1875 der Hof gegründet wurde. Damals bekamen die Kühe nämlich Fabrikabfälle zu kauen. Aus einer Mosterei und einer Konservenfabrik stammte das Futter, das der Milch den besonderen Geschmack gab. Bis heute kaufen die Windlers Silage und Futtermittel zu, nur im Sommer muhen ihre Schwarz-Weiß-Gefleckten auf Weiden in Huchtig oder Grolland.

Seit über 20 Jahren führt Gerhard Windler den Hof – aus freier Entscheidung. „Mein Vater hätte akzeptiert, wenn ich den Hof nicht übernommen hätte“, erzählt er. Schlierßlich war alles im Umbruch, als er ihn 1971 erbte. Die Freigabe des Milchpreises und das Ende des ambulanten Milchverkaufs vom Straßenwagen rüttelten am sicheren Einkommen des Landwirtschaftsmeisters. Dazu gab es Klagen, die Nachbarschaft störte sich an Geräuschen und Gerüchen, die vom Hof ausgingen. „Aber das ist besser geworden“, sagt der Meister.

Damals hätte selbst der Umzug vom städtischen Anwesen auf das Land keine besseren Chancen gebracht: „Was hier den Wert ausmacht, sind ja die Stallungen. Und welcher Käufer hätte mir die schon bezahlen wollen.“ Außerdem wäre Windler nicht überall hingezogen, die Wesermarsch war tabu: „Da sieht man ja morgens schon, wer mittags zum Kaffee kommt.“ Das hätte er nicht ertragen. „Ich bin eben ein Städter“.

Statt Umzug sicherte Windler den Absatz seiner Milch über neue Käufer. Heute wird Windlers Vorzugsmilch von ReformhauskundInnen, in Kliniken und Kindergärten getrunken. Im Sommer wird sie geschleckt: in Eisdielen. „Glücklicherweise“, findet Gerhard Windler. Denn irgendwo muß er mit dem Ertrag seiner 70 Milchkühe ja hin, wenn die Kindergärten Ferien haben.

Der abendliche Verkauf vom Hof aus lohnt wenig, selbst wenn Leute aus allen Stadtteilen kommen und die ganze Familie eingespannt ist. Vor allem der „Junior“ wird „beglückt“. Der will schließlich den Hof übernehmen. „Da erwarte ich manches von ihm“, sagt der Vater.

Vom „Junior“ spricht der Vater öfter. Der ist ein Faktor, der die Zukunft bestimmt. Weil der Hof für zwei Familien kaum genug abwerfen wird, ist der Vater umtriebig – aber auch, weil er den Blick über den Tellerrand schon immer liebte. „Nach der Wende habe ich viel in Mecklenburg beraten“, erzählt er. Und auch, daß er sich früher mal für den Entwicklungsdienst interessierte und heute im Ortsbeirat Neustadt engagiert ist. Was er sonst noch alles vorhat, das will er für die Zeitung aber nicht verraten. So gerne er sonst erzählt. ede

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