: Ich bin 4 Shylocks
■ Premiere in der Shakespeare Company: „Der Kaufmann von Venedig“ - hilft nicht aus der künstlerischen Krise
„Liebe Bremer“, wandte sich der chilenische Regisseur Andrés Pérez Araya nach drei Stunden „Der Kaufmann von Venedig“ an das Publikum und bedankte sich, daß das Theater ihm die Möglichkeit gegeben hat, seine Version des Shakespearschen Stücks zu inszenieren. Doch nach diesem Abend muß bezweifelt werden, ob das Gastspiel des Regisseurs wirklich mehr war als eine nette Geste in Richtung multikulturelle Verständigung.
Irritiert blickt die Nerissa um sich. Wo steckt nur ihre Herrin, die schöne Portia, um die die Männer freien? Selbst steckt sie vom Häubchen bis zur Schürze, die über den dicken Watte-Po gebunden ist, in der Rolle der komischen Zofe. Tolpatschig und überdreht wie ein blindes Huhn verliert sie ständig ihre Aufgaben aus den Augen.
Konfusion, die für das Ganze stehen könnte. Denn die künstlerische Orientierungslosigkeit am Leibnizplatz ist auch mit der Premiere von „Der Kaufmann von Venedig“ nicht beendet. Wer sich nicht zumindest das Programmheftchen ins Regal stellt, der weiß über den "Kaufmann von Vendig“ nach der Vorstellung weniger als zuvor.
Das ist fatal, denn gerade um die schwierige Thematik des Stücks zu bearbeiten, bedarf es Stringenz und Klarheit. Beides mußte man schmerzlich vermissen.
In Shakespeares Fünfakter verknüpft sich mit der üblichen Liebeshandlung die Geschichte vom Zinsenhandel des Juden Shylock, der von dem Christen Antonio bei Nichteinhaltung des Vertrages ein grausame Strafgebühr erhebt: eine Pfund „helles“ Fleisch soll dem Schuldner aus den Rippen geschnitten werden. Alles hängt bei diesem Shakespearschen Stück von der Interpretation der Rolle des Shylock ab. Schließlich ist es leicht, dieses Beharren auf der Einhaltung des Vertrags, also maßlose „typisch“ jüdische Geldgeilheit zu interpretieren. Eine Lesart, die Shakespeare leicht den Vorwurf des Antisemitismus einbringen kann. Neben Shylocks alttestamentarischer Rechtsauffassung steht jedoch sein großer Monolog, in dem er erklärt, daß sein Haß sich aus der jahrhundertelangen Verfolgung seines Volkes speist, das von einer scheinheiligen Moral unterdrückt wird, die sich christlich nennt. Zwischen diesen Interpretationen muß sich die Regie entscheiden. Ein heikles Unterfangen, das zur Folge hat, daß das Stück in Deutschland selten inszeniert wird. Nun hatte man sich mit dem Chilenen Andrés Pérez Araya jemanden gesucht, der den Deutschen helfen soll, sich aus ihrer historisch schuldhaften Verstrickung zu lösen.
Doch offensichtlich haben die Mehrsprachigkeit und multikultureller Ansatz nur eine babylonische Sprachverwirrung angerichtet. In der Interpretation der Bremer Shakespeare Company wird Shylock in vier Figuren aufgelöst. Ein Fall von multipler Persönlichkeit, fragt sich der Zuschauer, Regietrick im Sinne einer postmoderen Fragmentarisierung? Oder hat in der Shakespeare Company eher die basisdemokratische Variante zugeschlagen, die den Juden Shylock noch dem Motto „Jeder ist ein Ausländer, überall“ in uns allen sieht? So wahrscheinlich die letzte Variante ist, was die Regie uns hier sagen will, bleibt unklar.
Da inszeniert Araya die Gerichtsszenen gegen Antonio als ein Abklatsch der Oberammergauer Passionsfestspiele. Company Mitglied Norbert Kentrup nun als Jesus Christus in cremefarbenes Gewand gehüllt und mit Dornenkrone auf dem Kopf, schleppt mit pathetisch verdrehten Augen ein unhandliches Holzkreuz durch die Zuschauerreihen. Und in der Mitte steht Barbara Kratz in der Rolle des jungen Anwalts, der als blinde Justitia mit Schwert und Waage den Rechtsstreit zu schlichten versucht. Der Ankläger Shylock zögert einen Moment, ob er das Pfund Menschenfleisch einfordern soll oder lieber die dreifache Menge des geliehenen Geldes. Shakespeare in der Company: Statt eines jüdischen Händlers bückt sich hier ein Donald Duck nach hunderten von kopierten Geldscheinen.
Auch sonst viel handwerkliche Schlampigkeit auf der Bühne: Fast alle Schauspieler haben Schwierigkeiten mit ihrem Text, haben ihn gerade in dem Moment vergessen, wo sie dran wären oder artikulieren einfach so schlecht, das in den Zuschauerreihen nichts zu verstehen ist. Neben diesen Schwierigkeiten machen auch völlig unzusammenhängende Regieideen den Abend zu einer Geduldsprobe: plötzlich tauchen wie vom Himmel gefallen in der lustigen Werbungsszenen der Portia, die ihren zukünfigen Liebsten mit Hilfe der Kästchenwahl prüft, zwei Männer mit Kalashnikows, roten Stoffbahnen und Tarnanzügen auf. Ebenso plötzlich verschwindet der Besuch wieder.
Wenn doch ebenso plötzlich der Abend vorbei wäre. Stattdessen: Unentschiedenheit auf der Bühne. Wo Shakespeares Figur zwei Seiten hat und eine Interpretation verlangt, da weicht man aus und spaltet in vier Shylocks - mit einem Ansatz, der die Unentschiedenheit vervielfältigt, ist niemandem gedient - Shakespeare am allerwenigsten.
Susanne Raubold
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