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Ich! Ich! Ich!

■ In seinen Memoiren verliert Hans Modrow (DDR) noch einmal gegen Helmut Kohl (BRD)

Berlin (taz) – Hans Modrow hat es die Sprache verschlagen. Er ist zweimal an den Stimmbändern operiert worden, und so bekommt er bei der Vorstellung seiner Memoiren am Montag in Berlin kaum heraus, was ihn so sprachlos macht: das Buch eines gewissen Herren aus Bonn. Als er das sah, krächzt der frühere Ministerpräsident, änderte er den Titel seiner Memoiren. Und so tritt er mit seinem Buch zum letzten Kampf der Systeme an. Hans Modrow (DDR): „Ich wollte ein neues Deutschland“ gegen Helmut Kohl (BRD): „Ich wollte Deutschlands Einheit“. Gleiches Layout, gleiche Schrift, gleiches Foto.

Aber Kohl hat 488 Seiten! Bei Modrow sind es nur 480. Schon wieder verloren.

Die beiden Bücher erklären endgültig alle Niederlagen des Ostens seit 1917. Helmut Kohl beginnt seine Geschichte der deutschen Einheit mit Karl Popper. Geschichte, zitiert der Kanzler seinen Lieblingsphilosophen, ist machbar, und Kohl läßt keinen Zweifel daran, wer die Geschichte 1989/90 gemacht hat. „Ich wollte die deutsche Einheit“, sagt er. Ich! Ich! Ich! Ich habe in meiner Strickjacke die Welt neu gestaltet! Aber wer ist Popper? Hans Modrow hält sich an seine Klassiker. Am Anfang seines Buches zitiert er Engels: „Denn was jeder einzelne will, wird von jedem anderen verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat. So verläuft die bisherige Geschichte...“

40 Jahre christliches Abendland gegen vierzig Jahre Parteidisziplin. Der pfälzische Saumagen Helmut Kohl gegen den sächsischen Asketen Hans Modrow. Wo der eine 18 Eier in seinen Karamelpudding schlägt, läuft der andere bis heute ziellos 12 Kilometer pro Tag — nur so ist die Geschichte der deutschen Vereinigung zu verstehen. „Ich wollte ein neues Deutschland“, sagt Hans Modrow. Am 19. Dezember 1989 fand das entscheidende Treffen mit Helmut Kohl statt. Als Modrow noch seine Spickzettel sortierte („Lieber solche Beihilfe, als das Wichtigste zu vergessen“), landete der Kanzler in Dresden-Klotzsche auf einer holperigen Betonpiste. „Schlagartig wurde mir bewußt“, erinnert sich Kohl, „dieses Regime ist am Ende. Die Einheit kommt!“ Und Popper hat recht! Geschichte ist machbar, sogar in Dresden-Klotzsche. So wie Hans Modrow ist die ganze DDR untergegangen: akkurat und hilflos. Aber mit Spickzettel! Jens König

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