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Ich, Dr. Kohl

Auf der CDU-Einheitsfeier in Berlin feuert der gewohnheitsmäßige Verfassungsbrecher und Exkanzler Kohl Breitseiten gegen SPD und Grüne ab. Die eigene Partei feiert seine Rückkehr

BERLIN taz ■ Helmut Kohl findet sich wieder salonfähig. Und die Partei applaudiert. Ungeachtet der gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren spendeten CDU-Prominenz und internationale Gäste dem Exkanzler nach seiner Rede auf dem „Einheitskongress“ der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin stehende Ovationen. Von der Krise seiner Partei, die er selbst ausgelöst hat, und seinem fortgesetzten Verfassungsbruch lenkte Kohl mit massiven Angriffen gegen Sozialdemokraten und Grüne ab. Ihnen warf er vor, sich in den Jahren vor der Wende von der deutschen Einheit verabschiedet zu haben. Namentlich nannte er Bundespräsident Johannes Rau, Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer.

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering reagierte empört: „Die Einheit gehört keiner Partei, und wir weisen den arroganten Anspruch von Helmut Kohl zurück. Die Mauer ist von Osten her umgeworfen worden, den mutigen Ostdeutschen gehört der Respekt zuerst.“ Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, nannte Kohls Darstellung den „untauglichen Versuch, von eigenen Fehlern bei der Umsetzung der Einheit abzulenken, die enorme Schäden in Wirtschaft und Gesellschaft der neuen Länder verursacht haben“. Der damalige SPD-Chef Hans-Jochen Vogel sagte: „Es ist bedrückend, dass der 3. Oktober zu solchen Attacken und Auseinandersetzungen genutzt wird, statt das Gefühl der Dankbarkeit in den Vordergrund zu stellen.“ Das „Empörendste“ seien die Angriffe auf Willy Brandt, der einen entscheidenden Beitrag zur Einheit geleistet habe. Auch das Bundespräsidialamt wies die Kritik von Kohl an Rau zurück.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hatte in ihrer Rede zuvor Kohls Verdienste um die deutsche Einheit und seine „Vision von Europa“ gewürdigt. Auf die CDU-Spendenaffäre, der Merkel ihre Position verdankt, ging sie nur am Rande ein. kn

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