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Archiv-Artikel

theater Ibsens Nixe transzendiert

Ein Kaff in Norwegen. Der Künstler Ballested zeichnet in dunkler Vorahnung kommenden Unheils das Bild einer halbtoten Meerfrau, die sich in den Fjord verirrt hat und nicht wieder ins offene Meer findet. Die Meerfrau ist die zweite Gattin des Bezirksarztes Wangel und heißt Ellida. Ihr Leiden ist nicht körperlich. Es ist die Ehe, die sie umbringt. Denn sie hält sich für gekauft, nicht geliebt. Wangel hatte seine erste Frau verloren und brauchte einen Mutterersatz für seine beiden Töchter. Ellida war zur Stelle, frisch getrennt von einem Seemann. Sie verdrängt die Geschichte und schlägt bei Wangel Wurzeln. Doch der Konflikt bricht auf, als der tot geglaubte Seemann zurückkehrt und Ellida heim holen will.

Vor der Sommerpause taucht das Bonner Schauspiel mit Henrik Ibsens „Frau vom Meer“ noch einmal tief in die menschliche Seele. Yorck Dippe brilliert als liebenswürdiger Spießer Wangel und Patrycia Ziolkowska als zerrissene Ellida mit bemerkenswertem Tiefgang, die von einer blonden Nixe zur dunkelhaarigen Geisterbraut transzendiert.

Obwohl textlich meist nah am Original, hebt Regisseurin Thirza Bruncken das Stück in einen neuen audiovisuellen Kontext. So ist der verführerische Seemann (Andreas Maier) nicht Ibsens rothaariger Schotte, sondern ein langhaariger Pirat nach dem Vorbild von Johnny Depp im Freibeuterfilm „Fluch der Karibik“. Und wenn die Figuren ihr Innerstes nach außen kehren, singen sie moderne Klassiker wie „Lucy in the Sky with Diamonds“. Das ist vielleicht etwas platt, aber eine labende Abwechslung für die Sinne.

Oft funktioniert die Übersetzung des Fünfakters auch ganz wörtlich: Etwa wenn Oberlehrer Arnholm (Heiko Raulin) beim Werben um die schöne Bolette (Verena Bukol) „in der Luft hängt“. Dann tut er das tatsächlich – gehalten von einer Art Gymnastikgerät – einen Meter über der Bühne. Doch Brunckens Inszenierung ist nicht nur direkte Abbildung, nicht nur eine Aufeinanderhäufung von Filmzitaten, nicht nur ein teils akrobatischer, zeitlupenhafter Reigen. Erst aus dieser Summe schöpft die Inszenierung ihre Kraft.

Sebastian Sedlmayr

„Die Frau vom Meer“, Kammerspiele Bonn-Bad Godesberg, Am Michaelshof 9, Tel 0228/77 80 01, nächste Aufführungen 23.6., 2., 3., 11., 19. und 26.7.