IRAN: NICHT-ATOMWAFFENSTAATEN KÖNNEN US-ANGRIFFE VERHINDERN : Entwaffnet die westlichen Atommächte
Die politische Kalkulation der Bush-Regierung zum Irankonflikt ist ein pathologisches Spiel mit dem atomaren Höllenfeuer. Raketenschläge auf iranische Atomanlagen würden weniger eine Massenbewegung zum Sturz des dortigen Regimes zur Folge haben als eine antiwestliche Massenmobilisierung in der islamischen Welt – und eine neue Form des Atomterrorismus gegen den Westen.
Dabei stinkt der Fisch wie so oft vom Kopf her. Schließlich sind es die westlichen Atommächte, die sich beharrlich und völkerrechtswidrig der Atomabrüstung verweigern, zu der sie sich im atomaren Nichtverbreitungsvertrag selbst verpflichtet haben. Selbstherrlich insistieren sie für sich selbst auf Atomwaffen – und damit auf ein Zwei-Klassen-Völkerrecht. Mithin sind sie der eigentliche Verursacher der Atomwaffenrüstung weiterer Staaten, von Indien bis zum Iran.
Umso drängender stellt sich die Frage, mit welchen anderen als den bisher ergriffenen politischen Mitteln der Iran von seinen Plänen abgehalten werden könnte. Der Pferdefuß der bisherigen britisch-französisch-deutschen Initiative ist, dass Großbritannien und Frankreich selbst Atomwaffenstaaten sind und damit ebenfalls den unglaubwürdigen doppelten Maßstab repräsentieren. Wenn die Bundesregierung etwas bewirken will, muss sie sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht: auf der der etablierten Atommächte oder auf der der Nicht-Atomwaffenstaaten.
Aus der Position Letzterer ergriff einst Außenminister Willy Brandt die Initiative zu einer Konferenz aller Nicht-Atomwaffenstaaten, die im September 1968 in Genf stattfand und die Bestimmung zur atomaren Abrüstung der Atomwaffenstaaten durchsetzte, ohne die der Nichtverbreitungsvertrag nicht zustande gekommen wäre. Eine Neuauflage einer derartigen Konferenz mit dem Ziel, gemeinsam gegenüber allen Atommächten den politischen Druck zur Atomabrüstung aller zu organisieren, könnte der Ausweg aus der derzeitigen Irankrise sein. HERMANN SCHEER
Hermann Scheer, MdB, war von 1990 bis 1993 Vorsitzender des Unterausschusses Abrüstung und Rüstungskontrolle