IRAK: WER FRIEDEN WILL, BRAUCHT MEHR SOLDATEN – UND EINE STRATEGIE : Stümperei bis zum Bürgerkrieg
3.438 Zivilisten sind im Monat Juli im Irak getötet worden, mehr als in irgendeinem Kriegsmonat zuvor, etwa 110 Menschen pro Tag. Allein in diesem Jahr sind 17.776 irakische Zivilisten ums Leben gekommen. Die Zahlen, die die New York Times gestern unter Berufung auf das irakische Gesundheitsministerium und die Leichenhalle von Bagdad veröffentlichte, sprechen für sich: Der Irak befindet sich im Bürgerkrieg. Damit ist das Gerede des US-Präsidenten, die USA würden sich erst „nach einem Sieg“ aus dem Irak zurückziehen, nicht mehr nur prahlerisch, sondern es geht schlicht an der Realität vorbei. Sieg über wen?
Die Gewalt im Irak, freigesetzt durch den gewollten Krieg gegen das Regime Saddam Husseins und ermöglicht durch eine stümperhafte Nachkriegsplanung der Besatzer, hat eine fatale Eigendynamik entwickelt. Kein Patentrezept könnte derzeit für ein schnelles Ende der Bluttaten sorgen, die die verschiedenen bewaffneten Gruppen und Todesschwadronen anrichten. Es ist trotzdem und vielleicht wirklich gerade deswegen geboten, daran zu erinnern, wer die Verantwortung für diese Lage trägt. Sie bleibt ohne Zweifel bei der US-Regierung und ihren Verbündeten.
Die Rückzugsforderungen, die – gerade in diesem Wahljahr – in den USA immer lauter werden, bedeuten tatsächlich, sich davonstehlen zu wollen. Nur: Der Verbleib der US-Truppen allein bietet ebenfalls keine Garantie für eine Besserung der Lage. Wenn Bush den Kampf im Irak stets in den Antiterrorkrieg einordnet, dessen Hauptschauplatz er inzwischen im Irak verortet, dann ist dies eine nahezu vollständige Fehlanalyse. Solange die Strategie der US-Besatzung im Irak sich daraus ableitet, wird der Krieg weiter eskalieren.
Notwendig ist vielmehr eine vollständige Umdefinition der Ziele im Irak. Sie kann nur darauf hinauslaufen, die Beteiligten an einen Tisch zu bringen, kurzfristig als omnipräsente Ordnungsmacht die Gewaltexzesse einzudämmen und mittelfristig die Milizen zu entwaffnen. Dazu aber braucht es wohl mehr US-Truppen als bislang, nicht weniger. BERND PICKERT