INTERVIEW: Der deutsche Hausbesitzer: „Ich liebe Krieg“
■ Die neue Hausordnung trägt eine deutsche Überschrift/ Interview mit Milan Simacek, der mit seiner Familie in einer Dreizimmerwohnung in einem Mietshaus der Gründerzeit in Prag-Vinohrady lebt
taz: Herr Simacek, vor wenigen Tagen wurde Ihr Mietvertrag gekündigt...
Milan Simacek: Ja, und zwar durch eine uns bisher unbekannte Gesellschaft „Apollo“, vertreten durch Herrn André Heinlein...
Heinlein, das ist doch ein deutscher Name? Nach dem Gesetz dürfen Deutsche jedoch bisher keinen Grundbesitz erwerben.
Ja, das stimmt. Entsprechend dem Restitutionsgesetz wurde unser Haus der enteigneten Besitzerin zurückgegeben. Diese siebenundachtzigjährige Dame oder besser ihr Neffe verkaufte es für etwa 500.000 DM an einen Dr. Nemec [„Dr. Deutsch“, d.Red.] aus Pilsen. Als Eigentümer trat hier jedoch von Anfang an dieser Herr Heinlein auf.
Dr. Nemec ist also ein typischer „Strohmann“, ein Tscheche, der für einen Deutschen Eigentum in der CSFR erwirbt.
Bei der ersten Hausversammlung mit Heinlein fragte ich ihn, ob er überhaupt berechtigt sei, Nemec zu vertreten. Da zeigte er auf einen der Männer, die mit ihm gekommen waren und sagte: „Das ist der Sohn von Herrn Nemec.“ Dieser jedoch war nicht bereit, seinen Personalausweis zu zeigen. Es war klar, daß es sich um einen Schwarzgeldwechsler handelte. Dann erklärte Heinlein, daß er der Verlobte der Tochter von Dr. Nemec sei. Als uns auch das nicht überzeugte, zog er ein leeres Papier mit der Unterschrift von Nemec heraus, holte seinen Computer und tippte vor den Augen der Hausbewohner eine Vollmacht.
Haben Sie die Behörden auf Heinlein aufmerksam gemacht?
Die Gemeindeverwaltung von Prag 2 hat mich von einer Amtsstelle zur nächsten geschickt, keiner fühlte sich zuständig. Als diese Hausversammlung stattfand, habe ich die Wirtschaftspolizei um Hilfe gebeten, die sollten einen Fachmann schicken. Doch erst drei Stunden nach der Versammlung, um 23 Uhr kamen zwei Polizisten, die wollten mich (!) zu einem Verhör mitnehmen.
Wissen Sie, welche Pläne Heinlein für dieses Mietshaus mit seinen rund 20 Wohnungen hat?
Angeblich will er daraus eine Pension machen. In der Kündigung wird jedoch angegeben, daß das Haus renoviert werden muß, eine Renovierung wurde aber erst vor fünf Jahren durchgeführt. Solch einen Kündigungsgrund gibt es in Prag jetzt häufig, allein in Prag 1 soll es 380 „Fälle“ geben.
Aber viele Häuser müssen tatsächlich renoviert werden, der Staat verkauft sein Eigentum, weil er sich diese Arbeiten nicht leisten kann.
Wir haben dem Neffen der ursprünglichen Besitzerin angeboten, unsere Wohnungen zu kaufen. Dieser jedoch lehnte ab. Wir sind auch bereit, mit Herrn Heinlein zu verhandeln, doch er muß sich an die tschechoslowakischen Gesetze halten. Deshalb akzeptieren wir auch die Kündigung des Vertrages durch Heinlein nicht. Der Mietvertrag besteht mit der städtischen Wohnbehörde, nicht mit dem Deutschen. Bei der Hausversammlung war Heinlein zunächst sehr entgegenkommend. Er sagte: „Wenn Ihr freundlich zu mir seid, bin ich auch freundlich zu Euch.“ Als er dann aber unseren Widerstand bemerkte, wurde er laut: „Gut, Sie wollen Krieg, ich liebe Krieg.“ Und: „Ich kann auch brutal sein.“ Immer wieder hat er versucht, in unsere Wohnungen zu kommen, aber wir haben ihn nicht hereingelassen. Er droht uns mit hohen Rechnungen für die Hausverwaltung, unsere neue Hausordnung trägt eine deutsche Überschrift. Jetzt wird viel über den deutsch-tschechoslowakischen Freundschaftsvertrag geredet, der ein Vertrag für die Zukunft sein soll. Die Ressentiments gegen die Deutschen, die es in Böhmen immer gab, sie werden durch solche Heinleins bestimmt nicht geringer. Interview: Sabine Herre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen