piwik no script img

I N T E R V I E W „Wir halten unseren Friedensvorschlag aufrecht“

■ Naisghi Bahta, Mitglied des Zentralkomitees der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF), über das neue äthiopische Parlament und die Position der Guerilla zur Nahrungsmittelhilfe / Die Wahl in Eritrea war eine Farce

taz: Die neu gewählte Nationalversammlung hat überraschend eine „regionale Autonomie“ beschlossen. Ist dies ein Schritt für eine friedliche Lösung des Eritrea/Äthiopien– Konflikts? Naisghi Bahta: Für uns ist dieser Beschluß nichts anderes als der Friedensvorschlag des Militärregimes von 1976, ein leeres Versprechen an unsere Bevölkerung. Es garantiert uns nicht unser elementares Recht auf Selbstbestimmung, für das wir seit Jahrzehnten kämpfen. Wie kann sich denn ein wie auch immer zustande gekommenes Parlament in Äthiopien anmaßen, über die Zukunft und das Schicksal des eritreischen Volkes entscheiden zu wollen. Wir wollen über unsere Zukunft selbst entscheiden können. Aber die Bevölkerung Eritreas hat doch ihre Abgeordneten in die Nationalversammlung gewählt... Die Wahl zu diesem sogenannten Parlament fand in ganz Äthiopien unter Zwang und mit vielen Manipulationen statt. Aber nehmen wir nur mal Eritrea. Die äthiopische Regierung selbst veröffentlichte, daß dort 400.000 Menschen gewählt hätten. Eine kuriose Zahl, wenn man bedenkt, daß Eritrea circa 3,5 Millionen Einwohner hat. Und wenn wir darüber hinaus die 400.000 genauer untersuchen, so kann festgestellt werden, daß davon 70.000 äthiopische Besatzungssoldaten waren und weitere 250.000 äthiopische Zivilisten, die die Verwaltung beherrschen oder Siedler sind, die nach Eritrea gebracht wurden, um unsere Bauern zu vertreiben. Diese Zahlen zusammengenommen bedeuten, daß nicht einmal 100.000 von unseren 3,5 Millionen Menschen gewählt haben. Zudem gab es direkten Wahlbetrug. Diese sogenannten Repräsentanten Eritreas sitzen nun in der angeblich zivilen Shengo. Es ist eine Shengo des Militärregimes, denn auch an der Regierung hat sich nichts verändert. Die Wahlen sind ein Trick, um die Weltöffentlichkeit zu täuschen. Die EPLF ist nach wie vor ernsthaft an einer Beendigung des Krieges und an einer gerechten politischen Lösung interessiert. Wir halten unseren Friedensvorschlag von 1980 aufrecht, in dem wir ein Referendum unter internationaler Aufsicht, etwa der OAU oder UN fordern. Die Bevölkerung Eritreas soll selbst entscheiden können, ob sie a) die völlige Unabhängigkeit, b) eine Föderation mit Äthiopien oder c) eine regionale Autonomie will. Die EPLF soll Mitte Oktober einen Nahrungsmitteltransport überfallen haben. Ist dies richtig? Ja, dies ist leider geschehen. Wir bedauern diesen Vorfall. Es ist auch überhaupt nicht die Politik der EPLF, so zu handeln. Jedoch tarnen seit längerer Zeit die Äthiopier ihre Militärtransporte als Nahrungsmittellieferungen. Wir möchten, daß sich dieser Vorfall nicht wiederholt, und wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmnen dafür vorgeschlagen. Wir sind für Schaffung von freien Korridoren für Nahrungsmittellieferungen und Garantien, daß diese nicht angegriffen werden dürfen. Wir sind für Waffenstillstandsabkommen während der Zeiten, wo Nahrungsmittelverteilungen stattfinden. Wir haben alle humanitären Hilfsorganisationen, die über die äthiopische Seite operieren, gebeten, uns die Routen und die Zeiten direkt mitzuteilen, daß sich so etwas nicht wiederholen kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß die EPLF bereits bei der großen Hungerkatastrophe 1984/85 einen generellen Waffenstillstand vorgeschlagen hat, auf den die Äthiopier nie eingegangen sind. Wir sind bereit, mit allen Beteiligten einen Dialog aufzunehmen, damit ein problemloser Transport und die Verteilung gesichert werden können. Interview: Bernd Vollmer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen