: „I FUCKED KARLOFF“
■ „Screamplay“ im Eiszeit und Sputnik
Bereits als kleiner Steppke strapazierte Rufus Butler Seder mit der Filmkamera das Nervenkostüm seiner Familie; die ewig nörgelnden Regieanweisungen „Mach doch mal ein blödes Grinsen, Mutti“ hatten daher öfters zur Folge, daß seine kreativen Ausbrüche in einer Dunkelkammer zwangspausieren mußten. Eingesperrt in ein Loch, das nur spärlich von einer matten, von der Decke baumelnden Glühbirne erhellt wurde, die gruselige Schatten über die Wände zucken ließ, brütete Rufus über die Idee zu einem Film, der Rache an all denen nimmt... „Screamplay“!
Viele Jahre später verschlägt es Rufus als hoffnungsvollen Jungschriftsteller in ein Hollywood, das nichts weiter als eine billige Pappattrappe ist, deren Wackelwände zwar mehr als durchlässig sind, aber deshalb noch lange nicht den großen Durchbruch zum erfolgreichen Drehbuchautoren garantieren. Nomen est omen: E.A. für Edgar Allen prangt auf dem Koffer, in dem er eine Schreibmaschine verwahrt, die einzige Waffe, die er perfekt beherrscht, um mit dem Unbill der Realität abzurechnen.
Von einer dreisten Kellnerin in einem Coffeeshop unfair angegangen, knallt er die Maschine auf ihren Tresen und hämmert für sie ein furioses Mordszenario in die Tastatur, daß der guten Frau selbst, ohne Gedanken lesen zu können, Angst und Bange wird. Noch ist für ihn die Traumwelt in Ordnung: In einem schmierigen Horrorkino frönt er seiner Leidenschaft für die Schauerstreifen „Nosferatu“ und „Caligari“, doch findet der schöne Schrecken ein jähes Ende auf dem dortigen Herrenpissoir - übel überfährt ihn das Schicksal in Gestalt eines rollschuhfahrenden Transvestiten. Viel Zeit für eine neue Mordszene bleibt Edgar diesmal aber nicht, denn der rollende Raubritter liegt plötzlich wirklich tot im Pisswasser des Klosetts. Die Mysterien werden zur Methode: Unversehens wird Edgar zum Hausmeister in einer klitschigen Absteige für verkrachte Hollywood-Existenzen.
Die Palette zerbröselter Illusionen aus der Traumfabrik reicht von der abgehalfterten Filmdiva („I fucked Karloff“) über die Provinzteenie-Sternschnuppe bis hin zum durchgeknallten Hippie-Guru mit E-Gitarre und Erlösungswahn. Sie sind allesamt mit lästigen Ticks und listigen Tücken ausgestattet, unter denen Edgar schwer zu leiden hat. Zwar revanchiert er sich nicht prompt, dafür aber um so drastischer: In den Nächten mit bekanntlich zuckenden Schatten an den Wänden meuchelt er sie alle hin, auf dem Papier versteht sich und in den Grenzen seiner Phantasie, die keine kennt. Das Drehbuch wird immer fetter, sein Grinsen immer dämonischer, bis eines Tages ersteres verschwunden ist. In der Tat ein Ärgernis, denn eine Welle bizarrer, stilistisch vollkommener Morde brandet nun durchs Hotel, die schöner man sich nur ausdenken kann.
Mit „Screamplay“ ist Rufus B. Seder ein kleiner, schmutzig -schauerlicher Film gelungen, der ohne viel Brimborium und schnörkelige Staffage das längst verwelkte Grauen der Hollywoodschen B-Movie-Produktionen wieder aufleben läßt. Bei so einem Belebungsversuch wimmeln die Filmzitate zwangsläufig an allen Ecken und Enden, aber Seder ist ehrfurchtslos genug, seine Vorbilder, inklusive der expressionistischen deutschen Stummfilmklassiker, mit viel Witz und Verve zu überziehen. Frech kommt weiter, und das nicht nur, weil Rufus B. die seit langem originellsten und grausamsten Morde auf die Leinwand gezaubert hat.
Andreas Döhler
Ab Donnerstag im Eiszeit (OF) und Sputnik Wedding (OmU)
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