: „Hysterische Überreaktionen fördern das Spiel der Provokateure“
■ Eberhard Jäckel, Mitautor von „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, zu den Friedhofsschändungen und über Antisemitismus in Deutschland INTERVIEW
taz: Herr Jäckel, wieder sind zwei jüdische Grabstätten geschändet worden — vermutlich von Tätern aus der Neonazi-Szene. Welches Gedankengut steckt hinter derartigen Taten?
Eberhard Jäckel: Nach den bisherigen Vorgängen vermute ich die Täter bei gewalttätigen, jugendlichen Nationalisten. Ich würde sie aber als Verführte bezeichnen, und die haben bekanntlich ihre Verführer. Diejenigen, die den Tätern die Ideen liefern, sind wohl in nationalistischen, fremdenfeindlichen rechten Gruppierungen zu suchen.
Stecken hinter den Anschlägen gefestigte Ideologien, oder sind die Grabschändungen, wie mehrfach behauptet, keine ernsthaften politischen Aktionen?
Als gefestigte Ideologien würde ich das nicht bezeichnen, jedenfalls nicht bei den Tätern. Bei früheren Verwüstungen jüdischer Friedhöfe sind ja weitgehend unpolitische jugendliche Täter gefaßt worden. Sie haben diese Aktionsform vermutlich aufgegriffen. Bei denjenigen, die diese Ideen verbreiten, scheint jedoch ein antisemitisches Gedankengut vorhanden zu sein, so wenn sie etwa den Mord an den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg leugnen. Gruppierungen, die nationalistische Politik betreiben wollen, sind in Deutschland weit verbreitet.
Die Agressionsopfer der Täter, in diesen Fällen ermordete Juden und andere Naziverfolgte, sind aber bekanntlich noch heute Feindbilder vieler Bürger. Untersuchungen zufolge soll ein Bodensatz von 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung antisemitische Gefühle hegen, berichtete der Grünen-Abgeordnete Schwandtner in einer baden-württembergischen Landtagsdebatte um die jüngsten Grabschändungen.
Erstens: Die Agressionsopfer sind ja nicht einmal Menschen, sondern es sind Gräber. Daran wird die ganze Perfidie dieser Provokationen deutlich. Zweitens: Welche Teile der Bevölkerung solche Vorurteile heute noch haben, ist sehr schwer einzugrenzen. Vor allem, weil man sich dabei fragen muß, um welche Art von Vorurteilen es sich dabei handelt. Zwischen dem sehr entschlossenen Judenhaß und einem gewissen Gefühl des Unbehagens gibt es eine ebenso große Bandbreite wie zwischen einem übersteigerten Nationalgefühl und dem fremdenfeindlichen, rassistischen Chauvinismus.
Welchen Zusammenhang können Sie in diesem Fall ausmachen?
Ich sehe einen Zusammenhang zwischen den Tätern und einem intellektuellen, rechtsradikalen Potential, wie es sich etwa in der 'Nationalzeitung‘, aber auch in bestimmten Parteikreisen der Republikaner äußert. Organisatorische Verbindungen kann ich zwar nicht nachweisen. Aber daß es eine geistige, ideologische Verwandtschaft gibt, daran habe ich keinen Zweifel. Ich lege sehr großen Wert darauf, daß wir in der öffentlichen Diskussion die Schuld natürlich in erster Linie bei denjenigen suchen, die diese Taten begehen. Aber wir sollten auch darüber reden, wer diesen jungen Leuten die Ideen in den Kopf setzt.
Nun haben Politiker und unterschiedlichste Organisationen, aber auch zahlreiche Bürger die Anschläge als menschenverachtende Barbarei verurteilt. Ein Aufschrei der Bevölkerung wie in Frankreich nach ähnlichen Taten blieb allerdings in Deutschland aus. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Die Verwüstungen im südfranzösischen Carpentras waren noch schändlicher als hierzulande. Es hat auch in Deutschland heftige Reaktionen gegeben. Vielleicht ist dieser große Aufschrei doch nicht so ganz ausgeblieben. Sie sehen, ich betrachte dieses Problem sehr abgewogen: wenn die Täter provozieren wollen, werden die Gegenreaktionen von ihnen als ein Beweis für die Richtigkeit ihrer Aktionen angenommen. Man darf derartige Provokationen zwar nicht einfach hinnehmen. Aber man sollte auch nicht überreagieren.
Wenn das Echo die Täter bestärkt, wäre es dann nicht klüger, auf eine ausführliche Berichterstattung zu verzichten?
Nein, das geht natürlich nicht. Es sollte ein Mittelweg gesucht werden zwischen einer klaren Abgrenzung von den Taten, einer deutlichen Solidarisierung mit der betroffenen Bevölkerungsgruppe, nämlich den Juden, und einer hysterischen Überreaktion, die dem Spiel der Provokateure nur förderlich wäre.
Ist unsere Gesellschaft nicht ein Stück weit ohnmächtig geworden, auf derartige Taten angemessen und entschieden zu reagieren?
In jeder Gesellschaft gibt es links wie rechts einen politischen Rand, der jenseits der Vernunft steht und nicht mehr ansprechbar ist. Er liegt in Deutschland, wie die letzten Wahlen gezeigt haben, unter fünf Prozent; in vergleichbaren Nachbarländern ist er sogar höher. Ich gehöre deswegen nicht zu denjenigen, die eine Bedrohung für besonders groß halten. Durch eine permanente Diskussion unserer Nazi- Vergangenheit haben wir sogar rechtsradikale Tendenzen noch mehr an den Rand drücken können. Hinzufügen muß man jedoch, daß aufgrund der Vergangenheit dieses Problem hierzulande gravierender ist als in den Nachbarstaaten.
Nun wird ja heftig diskutiert, wie solchen Schandtaten künftig vorgebeugt werden kann. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Defizite?
Ich meine, ganz eindeutig bei politischer Aufklärung, politischer Bildung und einer argumentativen Bekämpfung jenes irrationalen nationalistischen Rechtsradikalismus, den es in Deutschland immer noch gibt. Das wird sich niemals ganz beiseite schieben lassen, aber in einer wahrheitsgemäßen Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit und einem ständigen Hervorheben der Menschenrechte sehe ich das einzige Mittel.
Der Historiker Eberhard Jäckel ist Prof. für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen