: Hundert Zeilen Sympathie
■ 'Tempo‘-Autor Maxim Biller las aus seinen Büchern im Adass Jisroel
Man ist ja auf einiges gefaßt, wenn sich der Kolumnist eines Zeitgeistmagazines mit seinen gesammelten Werken vorstellt — nur nicht auf Maxim Biller. Einen selbstgefälligen, seibernden Schmiersack hätte ich erwartet; einen, der unter dem städtischen Wohlstandsgesindel auf Kundenfang ist. Lässig hingeschmierte Woolworthprosa, die alles und nichts sagt, aufgeblasenen Allerweltsjournalismus, bestenfalls eine Reihe unbeholfener Humoresken, wie sie zum Überdruß überall in den bunten Blättern zu finden sind.
Maxim Biller jedoch gehört zu den Juwelen im deutschen Zeitschriftenwald. Er ist knallhart subjektiv, untheatralisch bissig, hundsgemein — und doch nicht gehässig. Knochentrocken beobachtet er sein Lieblingssujet — Maxim Biller —, »und zwar mit dem goldrichtigen Hammer einer unmittelbaren Vernunft, die nicht dauernd noch sich selbst höchst selbstquälerisch in Frage stellt«, schreibt Rainold Goetz im 'Spiegel‘. Wenn der Jude Biller über seine Reise zu den Konzentrationslagern in Polen berichtet, macht sich beim Leser ein Gefühl breit, das nur unzulänglich mit dem abgenutzten Begriff »Betroffenheit« beschrieben werden kann; Biller erlebt die Vernichtungslager als Kultstätten des Todes, in denen die Massenmorde zelebriert wurden. Er zwingt sich in die Rolle eines Häftlings. Beißend unsentimental läßt seine Offenheit dem Leser keinen Millimeter Platz zur Flucht in die Illusion, Geschichte spiele sich in der Vergangenheit ab.
»Die hingedruckte Sprache zeigt den Schreiber nämlich nackt entblößt. Deshalb hat Lesen so viel mit Scham zu tun, weil es einen zum Beobachter dieser Nackten macht.« Sagt Rainold Goetz. Billers Mut macht sich bezahlt; man nimmt dem 31jährigen Schriftsteller ab, daß er auf dem Heimweg nach Frankfurt denkt: »Ich fahre in ihr Land.«
Dieser Biller zerredet seine Gefühle nicht. Auf seiner Reise durch Polen schlägt ihm ein Antisemitismus entgegen, den er so brutal nicht erwartet hat. Das sind für ihn »Scheiß Polacken«. Da gibt es kein Sozialarbeitergeschwätz, ein Arschloch ist ein Arschloch. Punkt. Aus. Aus seinem Buch Wenn ich einmal reich und tot bin liest Biller eine Kurzgeschichte über einen alten, fiesen Juden, einen Bankrotteur und herzlosen Griesgram, der seine Katze erschlägt. Solche Geschichten haben ihm bei vielen Juden den Ruf eines »Nestbeschmutzers« eingebracht, sagt Biller. Aber das steckt er weg.
Biller gehört zu einer Generation junger jüdischer Schriftsteller, die mit einem wachen Geschichtsbewußtsein auch jene Leser erreichen, die sich gegen eine rückwärtsgewandte, unehrliche, verlogene »Vergangenheitsbewältigung« sperren.
Was er denn über die Deutschen denke, will eine Zuhörerin von Biller wissen. »Sie sind nicht schuldig«, grinst der Autor, »Sie können beruhigt schlafen.« Biller nickt auffordernd, wartet darauf, daß die Frau noch mehr blöde Fragen stellt, aber auch sie hat verstanden: dieser Mann erfüllt keine Erwartungen.
Ich werde mir wohl diese Schnarchnasenzeitschrift 'Tempo‘ kaufen müssen, fünf Mark für die Kolumne von Maxim Biller. Werner
Maxim Biller: Die Tempojahre dtv, München, 16,80 DM; Wenn ich einmal reich und tot bin Kiepenheuer & Witsch, 38 Mark
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