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Human klingende Rhetorik

betr.: „Ein Sozialstaat muss aktivieren“, taz vom 19. 2. 02

„Die Betonung der Selbstbestimmung, Freiheit und Verantwortung hat nichts mit Neoliberalismus zu tun“, schreibt Sybille Volkholz. Ersetzen wir den Begriff „Neoliberalismus“ durch ein Synonym, zum Beispiel „Kapitalismus“, dann offenbart sich die Wahrheit des Satzes: „Die Betonung von Selbstbestimmung, Freiheit und Verantwortung hat nichts mit Kapitalismus zu tun.“ Jouh!

Auch liegt der Verdacht nah, dass die Freiheit des Einzelnen in der „anonymen Versorgungsgesellschaft“ weitaus größer ist, als in „starken Nachbarschaften und kleinen sozialen Netzen“, wo man doch dem „lebendigen und vielfältigen bürgerschaftlichen Engagement“ relativ hilflos ausgeliefert ist. Was ist schlimmer zu ertragen für das Individuum: Ein bevormundender (aber träger) Staat oder starke solidarische Nachbarschaften? Wer kontrolliert den Einzelnen besser, effektiver und billiger?

Aber um solche Fragen geht es Frau Volkholz und den Grünen gar nicht: Es geht ihnen, wie allen, darum eine human klingende Rhetorik für den bevorstehenden Abbau der sozialen Sicherungssysteme zu formulieren. Und das wird ihnen leider auch gelingen.

MARKUS MISCHKOWSKI, Köln

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