Hubert Aiwangers Wahlprogramm: Die neue „bürgerliche“ Definition
Der ideologiefreie Hubert Aiwanger macht Wahlkampf mit Winnetou und Glockengeläut. Nun setzt er sich dafür ein, dass Schularbeiten geheim bleiben.
Hubert Aiwanger bekennt sich erneut zu Winnetou. Diese Bierzelt-Nachricht vom Montag ist nach den turbulenten Ereignissen um den rechtspopulistischen niederbayerischen Stammtischpolitiker beinahe im Getümmel untergegangen. Denn Aiwanger, der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident des Bundeslandes, ist zumindest angezählt, seit bekannt wurde, dass sein Bruder Helmut in der Jugend ein antisemitisches Flugblatt verfasst hatte, das sich auch in Huberts Schulranzen fand.
Einstige Mitschüler:Innen und Lehrer:Innen vermuteten bei Hubert Aiwanger damals eine rechtsradikale Gesinnung. Der Beschuldigte bereute damalige Einlassungen zwar nun öffentlichkeitswirksam, bezeichnete sich aber zugleich als Opfer einer Medienkampagne. Es werde ein schiefes Bild von ihm gezeichnet, er sei ein „Menschenfreund“.
Längst aus der Zeit gefallen
Gerne würde man von Aiwanger, dem Wirtschaftsminister des Landes, irgendetwas Realpolitisches zitieren. Etwa ein zukunftsweisendes Konzept zum zügigen Ausbau von Windenergie. „Das Gas kam aus Russland und der Strom aus der Steckdose“, hat er stattdessen in einem TV-Interview orakelt, auf die Frage, warum Bayern beim Bau von Windrädern den anderen Bundesländern hinterherhinkt.
Aiwangers erneutes Bekenntnis zu Winnetou, also der bundesdeutschen Western-Verfilmung von Karl-May-Romanen aus den frühen 1960ern, ist im Lichte des bayerischen Wahlkampfs zu sehen, der in seine heiße Phase eingetreten ist. Am 8. Oktober finden Landtagswahlen statt. Die Winnetou-Filme aus der Wirtschaftswunderzeit laufen im deutschen Fernsehen bis heute in Endlos-Wiederholungen, wenngleich Handlung und Sprache längst aus der Zeit gefallen sind.
Mit Winnetou hat die CSU eigene Erfahrungen. Ihr langjähriger Generalsekretär (der spätere Bundesinnenminister) Friedrich Zimmermann (1925–2012) bekam den Spitznamen „Old Schwurhand“ verpasst, aufgrund eines Meineids, den er 1960 im Zuge der bayerischen Spielbankenaffäre geleistet hatte. Es gab damals Bestechungsvorwürfe gegen hochrangige bayerische Politiker im Zusammenhang mit erteilten Casinolizenzen. Die Freien Wähler gab es da noch nicht, die CSU bildete die Regierung in einer Koalition unter anderem mit der königstreuen Bayernpartei.
Die viel bejodelte Mitte der Gesellschaft
Aiwanger, Galionsfigur seiner Partei Freie Wähler, inszeniert sich als Sprachrohr für die „Mitte der Gesellschaft“. Wo genau diese ominöse Mitte liegt? Im Wahlprogramm seiner Partei Freie Wähler heißt es, „wir hören zu und machen für Sie eine vernünftige Politik mit gesundem Menschenverstand!“ Vernünftig? Erinnert sei an Aiwangers monatelange Weigerung, sich gegen Corona impfen zu lassen. Im Juli 2021 vertrat er gar die Meinung, politischer Druck auf Menschen, die sich nicht gegen das Virus impfen lassen, könne eine „Apartheidsdiskussion“ auslösen.
Die Freien Wähler behaupten, sie seien frei von Ideologien. Aiwanger, so das Parteiprogramm, „stehe dafür, dass die Politik die Menschen ernst nimmt“. Nicht nur mit Winnetou! Die Freien Wähler haben eine deutschlandweite Initiative auf den Weg gebracht: Mit ihr soll „das gewachsene Sinneserbe unserer Heimat“ geschützt werden. Dazu zählten „landesübliche Geräusche wie Kirchturmläuten, Kuhglocken oder ortsbekannte Gerüche wie der Brotduft einer Bäckerei“. Im Bundesgebiet soll es riechen und klingen wie 1862 auf dem Dorf? Wenn noch jemand einen Beweis braucht, dass die viel bejodelte Mitte der Gesellschaft in die Hände von Spinnern geraten ist, bitte sehr.
So „bürgerlich“
Die CSU, seit 1957 an der Regierung, machtbesoffen und konservativ bis auf die Knochen, bildet momentan die bayerische Staatsregierung in der Koalition mit den Freien Wählern und möchte sie unbedingt fortsetzen. „Bürgerlich“ sei diese Konstellation, ein Prädikat, das CSU-Ministerpräsident Markus Söder den Grünen dagegen abspricht.
Am Montag forderte Aiwanger im Festzelt Aubing mehr Verwaltungskräfte an Münchner Schulen, wie eine Kollegin vom Spiegel twitterte: „Die Eltern sollen sich darauf verlassen können, dass nicht die Lehrer die Schulaufgaben der Kinder kopieren und 40 Jahre später gegen sie verwenden können.“
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