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Archiv-Artikel

How Time Goes By

Das 8. Bremer Filmsymposium nahm unter der Überschrift „Zeitsprünge“ die Zeit unter die Lupe

Auf die postklassische und postmoderne Phase folgt das „postmortem“-Kino

taz ■ Da freut sich die wissenschaftliche Gemeinde, wenn einem Kollegen ein neuer Terminus in den Sinn kommt. Und ein Symposium eignet sich besonders gut für die Einführung einer Wortschöpfung, an der die Kollegen dann gleich ihre Thesen wetzen können. Genau solch einen akademischen Coup landete Thomas Elsaesser bei seinem Vortrag „Now, where was I...“ auf dem Symposium „Zeitschleifen“, das sich mit der „Zeitpolitik“ des Kinos befasste. Nach dem klassischen, dem postklassischen und dem postmodernen Hollywoodfilm macht Elsaesser jetzt die Phase des „postmortem“-Kinos aus.

Dies ist nicht nur ein schönes Wortspiel, sondern auch die treffende Benennung einer neueren Tendenz im populären amerikanischen Film, der Abschied vom traditionellen Actionhelden genommen hat und stattdessen erstaunlich viele „lebendige Leichen“ zu seinen Protagonisten macht. In Filmen wie „The 6th Sense“, „American Beauty“, „Lost Highway“, „Vanilla Sky“ und „Memento“ sind die Helden nicht nur müde, sondern schon so gut wie tot. Anhand des Filmhelden von „Memento“ analysierte Elsaesser dieses neue Subgenre tiefgreifend und sprachlich souverän. Da merkte kaum noch jemand, dass er das eigentliche Thema seines Vortrags, die originelle Zeitstruktur des Films „Memento“, eher en passant abhandelte.

Man bekam bei einigen Vortragenden den Eindruck, dass sie streng genommen das Thema verfehlten. Es kam der Verdacht auf, dass sie Vorträge, die sie im Computer auf Halde hatten, mit ein paar Zusätzen so umbogen, dass das Thema „Zeit“ zumindest im Titel erschien. So war es etwa beim Vortrag von Jörg Schweinitz, der darüber referierte, dass der Film „Hudsucker“ der Coen Brothers fast nur auf Stereotypen des Hollywoodgenrefilms aus den 40er und 50er Jahren beruhte.

Auch der Vortrag von Ralph Umard über Tendenzen des neuen asiatischen Kinos war zwar sehr unterhaltsam und informativ. Aber wenn die einzige Aussage zur Behandlung der Zeit in Filmen aus Hongkong, Japan und Korea darin besteht, dass der Lebensrhythmus in Hongkong so schnell wie sonst nirgends sei und sich dies in den Filmen von dort spiegeln würde, dann war das doch etwas mager.

Erhellend dagegen war Ursula von Keitz mit ihrem Beitrag über die Desorientierung filmischer Chronologie in Alain Resnais „Letztes Jahr in Marienbad“. Nachdem am Samstagabend Stargast Alain Robbe-Grillet im Kino 46 ein wenig über „Marhiebaaaddd“ geplaudert hatte, zu dem er das Drehbuch verfasst hatte, und das geneigte Publikum erfuhr, dass Regisseur Resnais eigentlich viel lieber mit François Sagan oder Simone de Beauvoir gearbeitet hätte, gab es am Sonntagmittag die Analyse von Ursula von Keitz.

Die Wissenschaftlerin von der Universität Zürich lieferte eine konzise Einführung in die Techniken der Rückblende, um dann deutlich zu machen, wie kunstvoll sie in „Marienbad“ umgekehrt werden – so dass dem Zuschauer jede zeitliche Einordnung des Gesehenen unmöglich gemacht wird.

Der überzeugendste Beitrag aber war der unakademischste: Stefan Drößler vom Filmmuseum München erzählte von der Restaurierung der Premierenfassung von Max Ophüls „Lola Montez“. Nicht viel mehr als der Werkstattsbericht eines Praktikers, aber das Thema folgte dabei so vielen Spuren der Zeit im Kino, dass das Symposium erst mit diesem letzten Vortrag seinem Thema wirklich gerecht wurde.

Wilfried Hippen