Hotspot der Klimakrise: Mach's gut, Mittelmeer
Laut Uno-Bericht ist der Mittelmeerraum Hotspot des Klimawandels. Waldbrände, Hitze und Dürre nehmen zu. Abschied von einem Sehnsuchtsort.
Es brennt im Mittelmeerraum, neben Italien, sind vor allem die Türkei und Griechenland stark betroffen. Und nicht nur das: Für Italien hat das Gesundheitsministerium für die kommenden Tage die höchste Hitze-Warnstufe ausgegeben. Bis zu 48 Grad soll es in Rom, Neapel, Bari und Palermo werden. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Hitzewellen, Starkregen, Dürren, Fluten, Brände. Aus einem Entwurf des Dokuments des Uno-Weltklimarates (IPCC) geht hervor: Die Mittelmeerregion ist ein Hotspot des Klimawandels. Das ist in erster Linie natürlich für die Bewohner:innen der Region schlimm, die fürchten müssen ihre Wohnorte, ihr Zuhause und im schlimmsten Fall ihr Leben zu verlieren. Doch auch eine sehr beliebte Urlaubsregion wird dadurch über kurz oder lang zu eine No-Go-Area. Vier taz-Redakteur:innen erzählen hier von ihren liebsten Erinnerungen von dem Sehnsuchtsort.
Vom ersten Erfolg in der Brühe
Am Mittelmeer, in der knietiefen Brühe, habe ich schwimmen gelernt. Zum Glück dort und nicht etwa zu Hause im Schwimmunterricht, in einer dieser gefliesten deutschen Höllen mit Sprungturm, Gruppenumkleiden und anderen Foltermethoden für kleine unsportliche Kinder. Sondern am Strand in Spanien, wo es ziemlich egal war, ob und wann ich schwamm. Und gerade deshalb schwamm ich irgendwann.
Jemand musste mir die Bewegungen vorher mal gezeigt haben, wahrscheinlich hatte ich dabei diese aufgepumpten Flügelchen aus Plastik an den Armen, deren scharfe Nähte in die Haut schnitten, während ich Salzwasser schluckte. Aber der Moment, als ich dann endlich schwamm, war ein anderer. Alleingelassen ganz am Rand dümpelte ich ein bisschen sinnlos vor mich hin, ließ mich von den sanften Wellen hochheben und wieder absetzen, vielleicht stundenlang – bis ich irgendwann, ganz aus Versehen, bemerkte, dass ich jetzt schon länger als eine Sekunde keinen Boden gespürt haben musste. Und danach war das alles kein Problem mehr. Ich bin nie wieder nicht geschwommen.
Derweil lag die Familie irgendwo im Sand, machte Siesta und kümmerte sich kein Stück um meinen lebensverändernden Moment. Ich wünsche mir bis heute, dass Fortschritte im Leben immer so kämen, wie das Schwimmen am Mittelmeer zu mir gekommen ist – ohne Anstrengung und wenn es einen gerade am wenigsten interessiert. Erfolg als Überraschung, ganz ohne die Angst vor dem Scheitern. Manchmal ist es so. Meistens nicht. Peter Weissenburger
Wo ich nie hindurfte
Die Sommerurlaube vieler Kinder in Deutschland lassen sich geografisch einteilen in Nord- oder Ostsee und das Mittelmeer. Wer in Bremen aufgewachsen ist, wird sich den Magen mit Fischbrötchen vollgestopft haben. Kinder aus Bayern fuhren stattdessen meist nach Italien. Ich falle in keine der beiden Kategorien. Meine Eltern trennten sich früh, ich fuhr also zwei Mal weg. Mein Vater flog gerne nach Ägypten ans Rote Meer, All-Inclusive-Urlaub. Ich empfand die eingezäunten Hotelkomplexe als Paradies. Buffets, die nie leer wurden, Kinderdisko und Animationsprogramme, mehrere Swimmingpools und eine Open Bar. Nach dem fünften alkoholfreien Cocktail bildete ich mir als 10-Jährige ein, betrunken zu sein.
Meine Mutter zog es weiter östlich in die Ukraine, ans Schwarze Meer. Statt Pizza und Gelato gab es Wassermelone, Trockenfisch und Maiskolben. Von den durchschnittlichen 35 Grad konnte man sich kaum abkühlen: Schwimmen im Schwarzen Meer war wie in eine Badewanne zu steigen.
Als Kind möchte man so sein wie alle anderen. Ich beneidete meine Mitschüler:innen um ihre Sommer. Mein inneres Kind wird deshalb wehmütig: Ich muss Abschied nehmen von einer Region, die ich nie kennenlernen durfte. Wenn ich es doch pragmatisch sehe, dann habe ich meinen Mitschüler:innen etwas voraus: Einen neuen Urlaubsort muss ich mir nicht suchen. Ich kann einfach weitermachen wie bisher. Erica Zingher
Als Frankreich zu kalt wurde
In meiner Kindheit bestand mein Leben hauptsächlich aus Warten. Das Warten auf diese eine Nacht im Juli, wenn meine Eltern mich und meine Geschwister um 4 Uhr weckten und ausgerüstet mit Kassettenrekorder und Schlafsack in unser Auto verfrachteten. Damit begann die Reise von der niedersächsischen Kleinstadt an die Côte d’Azur.
Das Ziel war ein unprätentiöser Campingplatz im kleinen Dörfchen Cavalaire-sur-Mer, direkt neben Saint-Tropez. Einen Pool, Animationsclowns, Klobrillen oder anderen Schnickschnack gab es nicht. Dafür Pinienduft, neue Freund:innen aus den Niederlanden und vor allem unseren kleinen süßen Strand, den man nur zu Fuß über einen steilen Berg erreichen konnte. An schlechten Tagen standen Ausflüge in benachbarte Städte und Museen auf der Tagesordnung. An guten stundenlanges Toben in den Wellen und mit Papa von den Klippen springen.
Wieder zurück in der Lüneburger Heide begann dann wieder das Warten. Bis zu unserem Umzug nach Baden-Württemberg. Das Mittelmeer war zwar auf einmal näher, aber die Sommerferien deutlich später. Schnell schwabisiert, wurde unser Urlaub in die Nebensaison verschoben. Im September konnte es an der Côte d’Azur schon zu kalt sein fürs Campen, fortan ging es also nur noch nach Spanien. Das stundenlange Autofahren und das Campen blieben, hinzu kamen der Pool, die Animateure und der ganze Schnickschnack. Doch so schön wie Cavalaire-sur-Mer wurde es nie wieder. Carolina Schwarz
Ohne geht es auch
Mein erstes Mittelmeer war die Costa Brava, 1977. Während ich im bezaubernd warmen Wasser plantschte, saß mein Vater zu Hause in der warmen Badewanne. So hatten wir ihn jedenfalls verlassen, als meine Brüder und ich schon im aufgeheizten VW Käfer schmorten und einfach nur loswollten. Wie immer, wenn mein Vater schmollte, war der Grund, dass man – also meine Mutter – ihn „nicht rechtzeitig informiert“ hatte.
Zwei Jahre später hatte er sich eingekriegt. Nach Großplanungen mit ADAC-Karten über einzuschlagende Routen fuhren wir nach Jesolo an die Adria. Ob mein Vater mal im Wasser war, weiß ich gar nicht, meine Mutter suchte in der Ferienanlage auf Französisch einen Schachpartner für ihn, und zwei Woche lang saß er dann mit wechselnden Italienern am Campingtisch, spielte Schach und sah glücklich aus. In unserem letzten gemeinsamen Urlaub fuhren wir mit dem Bus vom Münchner Hauptbahnhof nach Istrien, damals noch in Jugoslawien gelegen. Ich war 15 und hatte nicht mitbekommen, was genau das Ziel war – sonst wäre ich auch zu Hause in der Badewanne geblieben: Meine Eltern hatten ein FKK-Camp gebucht. Wenn man sich im kleinen Supermarkt ein Eis kaufte, musste man in der Schlange hinter Landsleuten stehen, deren Penisse knapp über dem Kassenband schlenkerten; und ich kann mich gut erinnern, dass ich jedes Mal hoffte, die Dinger würden eingesogen, so schämte ich mich. Wenigstens das bleibt dem Mittelmeer künftig erspart. Ambros Waibel
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