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Archiv-Artikel

Horrorgeschichten für 10 Euro

Ortstermin an der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln: Die Schüler sehen sich in der Presse falsch dargestellt, der neue Rektor kommt, und eine Fusion mit der Realschule begeistert niemanden so recht

BERLIN taz ■ Auch am Morgen danach ist die Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln kein guter Ort, um nach der Wahrheit zu suchen. Die Wahrheit über die „Terrorschule“, wie sie in einigen Zeitungen heißt. Denn die „Terrorkids“ von der Rütli sind sich selbst nicht so ganz einig, wie das jetzt so ist an ihrer Schule.

Es ist Freitagmorgen, kurz nach elf. Eigentlich wäre jetzt Unterricht. Doch heute ist früher Schluss – wegen all dem Trubel, den die Berichterstattung über die Schule verursacht hat. Fast schon routiniert mischen sich die Kinder unter die anwesenden Journalisten. Es ist nicht leicht, ihnen irgendwie verlässliche Informationen zu entlocken. Ständig nennen sie sich anders, mal behaupten sie dies, mal jenes. Wer mit ihnen unter vier Augen spricht, bekommt mehr heraus. „Unsere Schule ist gar nicht so schlimm, wie ihr schreibt“, sagt eine Schülerin. „Wir fühlen uns wohl hier.“ Alle sind sich einig: Die Presse habe viel Mist verbreitet. Misstrauisch beäugen sie, was man sich notiert.

„Gestern war eine Reporterin da“, sagt ein Neuntklässler, „die hat mir 10 Euro geboten, damit ich erzähle, wie schlimm es angeblich bei uns zugeht.“ Von Drogen und anderen bösen Dingen habe er berichten sollen. Die gebe es hier aber gar nicht, sagt er. Und dass er „die Rütli“ für eine ganz normale Schule hält, an der alle zusammenhalten.

Murat Kara bestätigt die Bestechungsversuche durch die Presse. „Ich kann dir ohne Probleme mehrere Schüler zeigen, denen das passiert ist“, sagt er. Kara ist seit zwei Wochen Aufpasser an der Heinrich-Heine-Oberschule. Das ist jene Realschule, mit der sich die Rütli das Gebäude teilt. Nun sollen die beiden Schulen fusionieren. „Keine Ahnung, was das bringen soll“, sagt Kara. Ein wenig befremdlich wirkt es schon, wie er hinter dem Eisenzaun steht und die Schüler rein- und rauslässt. Mit seinem Security-Schild am Revers und seinem dunklen Mantel ist er ein beliebtes Kameramotiv.

Von den ursprünglich angekündigten Taschenkontrollen ist heute nichts zu sehen. Die Polizei ist zwar da, hält sich aber dezent im Hintergrund. Etwa 200 Meter von der Schule entfernt stehen die Polizisten an einer Straßenecke. „Um die Journalisten zu schützen“, wie ein Beamter sagt. Und die Politiker. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) ist da, um Schülern und Lehrern ihren neuen Schulleiter zu präsentieren. „Der war ganz nett“, meint eine Schülerin. Sie glaubt, mit ihm gehe es jetzt aufwärts. Das ist auch so eine Wahrheit. Obwohl alle beteuern, die Schule sei eigentlich okay, fühlen sie sich im Stich gelassen. Sie spüren, dass sie auf dem Arbeitsmarkt später wenig Chancen haben werden. Seit die Schulleiterin erkrankt ist, sei vieles schlimmer geworden, sagen sie. „Keiner kümmert sich um uns.“

Das soll jetzt alles anders werden. Denn auch Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, ist an diesem Morgen da. „Keiner wird aufgegeben“, sagt sie nach ihrer Rütli-Exkursion. Sie appelliert an die Eltern der Schüler, hauptsächlich Migranten, Deutsch zu lernen. Das Beherrschen der deutschen Sprache sei wichtig, um mit den Lehrern sprechen zu können. Außerdem will sie bald mit Unternehmensverbänden reden. Darüber, wie die Migrantenkinder irgendwie Arbeit bekommen können.

„Das wird schwierig“, sagt Helge Dietrich, der Landeschef vom Verband Bildung und Erziehung. Er ist selbst Lehrer. Gekommen ist er, um mit seinen Kollegen zu sprechen. An seiner Schule in Berlin-Mitte herrschen andere Zustände. „Wir haben auch einen wesentlich geringeren Migrantenanteil.“ Die geplante Fusion der Haupt- und der Realschule hält Dietrich für Unsinn. Das Einzige, was der Rütli helfen könne, sei mehr praktischer Unterricht. Die Rütli-Schüler selbst halten auch nicht viel von der Zwangsehe mit den Realschülern. Die seien nämlich die Schlimmen, so ein Rütli-Schüler. „Die haben den Reportern gestern Mist erzählt und behauptet, sie seien Hauptschüler.“ Noch so eine Wahrheit. TORSTEN GELLNER