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Hongkonger Spekulationen

Vier Wochen vor der Übergabe an China tanzen nicht nur Unternehmern die Dollarzeichen vor den Augen. Doch andere fürchten die politische Kontrolle Pekings. Ein Stimmungsbericht aus einer Stadt mit zwei Meinungen  ■ Von Sven Hansen

Die Schlange der Wartenden im Hongkonger Stadtteil Central wird immer länger. Die meisten stehen ruhig da, andere sprechen in ihre Handys oder blicken verärgert auf die Uhr. Mit roten Ketten dirigieren Wachleute die Menschen im Zickzack durch das Foyer des 70stöckigen Hochhauses. Als immer mehr Leute die große Empfangshalle aus schwarzem und weißem Marmor füllen, wird die Schlange durch den Hinterausgang auf die Straße geleitet. Später stehen die Wartenden um das ganze Gebäude herum bis auf die vor der Fassade liegende Queensroad.

Anders als noch vor einem Jahr stehen Hongkongs Bürger jetzt nicht für zweitklassige britische Überseepässe an. Der Andrang vor der Hongkonger Zentrale der Bank of China und zwei Dutzend anderen Geldhäusern geht auch nicht auf die Angst vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch zurück, wenn die britische Kronkolonie am 1.Juli an die Volksrepublik China übergeben wird. Vielmehr wollen die Menschen Aktien von Beijing Enterprises kaufen. Zigtausende stehen an, um Formulare für den Kauf der 150 Millionen Aktien zu ergattern. „Beijing Enterprises hat beste Verbindungen, deshalb habe ich volles Vertrauen und erwarte satte Gewinne“, sagt Leung Eng-kiong. Der 42jährige Kleinunternehmer will 10.000 Aktien kaufen.

Hinter der Firma steht die Stadtverwaltung der chinesischen Hauptstadt. Die Gesellschaft ist an Hotels, Brauereien, Autobahnen und McDonalds-Filialen beteiligt. Mit dem Börsengang gehört die Firma zu den Red Chips, gut zwei Dutzend in Hongkong notierten Firmen aus der Volksrepublik. „China hat die Macht. Deshalb bieten Red Chips die besten Gewinnaussichten“, meint der Angestellte John Cheng, der seit einer halben Stunde ansteht. Die von Hongkongs künftiger Regierung beschlossenen Einschränkungen der Bürgerrechte beeinflussen seiner Meinung nach den Aktienmarkt nicht. Peking werde dafür sorgen, daß es den Aktionären unter chinesischer Herrschaft noch besser geht als unter britischer. Das sei eine Sache der Ehre.

Der 23jährige Student Tommy Wang steht schon zum zweiten Mal in diesem Jahr für seine Eltern an. „Das erste Mal ist der Kurs innerhalb kurzer Zeit um über 100 Prozent gestiegen“, sagt er. Auf dem grauen Markt werden die Aktien von Beijing Enterprises, deren Ausgabekurs bei 12,48 Hongkong- Dollar liegt, bereits für 38 gehandelt. Am Ende der dreieinhalbtägigen Frist sind 1,2 Millionen Antragsformulare ausgegeben worden. Das Aktienpaket wird um mehr als das Tausendfache überzeichnet sein, ein Rekord. Die Firma wird umgerechnet 40 Milliarden Mark mobilisiert haben, schätzen die Zeitungen.

„Die meisten Red Chips haben keinen soliden Hintergrund. Sie sind völlig überbewertet, ihr hoher Kurs ist rein spekulativ“, sagt ein Fondsmanager. Das Kapital der Red Chips heißt guanxi, politische Verbindungen. Die treiben die Kurse hoch. Seit Jahresbeginn ist der Kurs der Red Chips um 34 Prozent in die Höhe geschnellt. Doch auch die Blue Chips, die Werte des Hang-Seng-Index, sind seit Jahresanfang um 8,5 Prozent gestiegen. Börsianer erwarten für die nächste Zeit keinen Rückgang.

„Die Stimmung der Unternehmer ist hervorragend. Das Vertrauen ist größer als je zuvor“, sagt Ekkehard Goetting von der deutschen Industrie- und Handelskammer in Hongkong. Der Blickwinkel der Unternehmer unterscheidet sich laut Goetting nicht von dem der restlichen Bevölkerung. Geschäftsleute seien keine Opportunisten. „Die Menschen hier haben nicht automatisch ein westliches Demokratieverständnis. Es wird übersehen, daß die ungehinderte freie wirtschaftliche Betätigung auch ein demokratisches Element ist. Das hat hier einen hohen Stellenwert“, so Goetting. Deshalb seien viele, die in den letzten Jahren ausgewandert sind, zurückgekommen.

5,5 Prozent Wirtschaftswachstum, eine gesunkene Inflation und der riesige chinesische Markt tragen zur guten Stimmung der Unternehmer bei. Sie begrüßen auch, daß die sehr einflußreichen 22 Spitzenbeamten vom künftigen Regierungschef bis auf einen alle übernommen werden. Zwar befürchten manche einen Anstieg der Korruption und eine Aufweichung des Rechtsstaats. Doch Anzeichen gibt es dafür noch nicht. „Solange Hongkong nicht die wirtschaftlichen Freiheiten genommen werden, die die Stadt erfolgreich gemacht haben, sind keine Probleme zu erwarten“, sagt ein deutscher Geschäftsmann bei einem Empfang im exklusiven China Club.

Hier im 14. Stock des alten Gebäudes der alten Bank of China trifft sich, wer mit chinesischen Kadern und Unternehmern Geschäfte machen will. In den Räumen im Shanghaier Stil der dreißiger Jahre servieren uniformierte Kellner mit rotgelbem Stern auf der Brust die Getränke. Im Treppenhaus hängen Gemälde, eine Mischung aus chinesischem Realismus und Propaganda. Das an prominentester Stelle hängende Bild zeigt zwei entschlossen dreinblickende Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Rot, die Maschinenpistolen einsatzbereit vor der Brust. Rechts darunter hängt eine riesige Karikatur von Prinz Charles mit Maske und großen, knorpeligen Händen. Nebenan in der Bar „Zum langen Marsch“ zeugt die Dekoration vom heldenhaften Kampf der Volksbefreiungsarmee. Über dem Tresen hängt der große Steuermann.

„Der Martin Lee“, sagt der Geschäftsmann beim Nachtisch und meint damit den Vorsitzenden der Demokratischen Partei, die die letzten Wahlen gewonnen hat, „ist eigentlich ein guter Mann. Aber der hat hier keine Chance.“ Lees Mitarbeiterin Minky Warden kommentiert dies später mit den Worten, Lee wäre Regierungschef, wenn Hongkong eine echte Demokratie und keine Kolonie wäre. Lee wird in einem Monat sein Mandat verlieren, wenn Peking den Legislativrat auflöst. In einem Jahr muß er bei einem geänderten Wahlgesetz versuchen, das Mandat zurückzugewinnen. Lee wirft China vor, die Autonomie-Versprechen gebrochen zu haben: „Chinas Politik gegenüber Hongkong kann in einem Wort zusammengefaßt werden: Kontrolle.“ Die künftige Regierung macht ihn mit dafür verantwortlich, daß westliche Medien ein kritisches Bild der politischer Zukunft zeichnen.

Jimmy Lai möchte mit seiner Next Media Company gern vom Börsenboom profitieren. Seine Firma gibt das Magazin Next heraus. Weil die Zeitschrift kein Blatt vor den Mund nimmt, hat das Magazin mit einer Auflage von 150.000 Exemplaren Erfolg. Der Gang an die Börse, den alle großen Verlage vertreten haben, schien eine Routineangelegenheit. Doch im Februar machte die Bank einen Rückzieher. Offiziell aus wirtschaftlichen Gründen. Hinter vorgehaltener Hand war jedoch von großem Druck auf das Geldinstitut die Rede. Auch zwölf weitere Banken waren aus politischen Gründen zu keinem Börsengang mit der Next Media Company bereit.

Lai ist für die chinesische Regierung ein rotes Tuch. Er ist Hongkongs einziger Unternehmer, der Chinas Führung wiederholt öffentlich scharf kritisiert hat. Nach einer Attacke gegen Ministerpräsident Li Peng mußte Lais früheres Unternehmen, die Bekleidungskette Giordano, ihre Filialen in China schließen.

Wendy Lai aus Kwun Tong im Osten Kowloons ist der Aktienmarkt fremd. „Dafür habe ich gar kein Geld“, sagt die kleine Frau. Für die 43jährige Mutter von zwei Kindern ist es ein Luxus, mit ihrer Familie sonntags in einer amerikanischen Pizzakette essen zu gehen. Lai arbeitete 23 Jahre als Näherin in der Textilindustrie. Als ihre Fabrik vor zwei Jahren in die chinesische Provinz Guandong zog, verlor sie ihren Job. „Ich konnte nur noch eine Halbtagsstelle als Putzfrau bekommen“, sagt Lai. „Ab dem Alter von 35 gehören Arbeiterinnen hier zum alten Eisen.“

Mit Mann und Kindern teilt sie sich eine 25-Quadratmeter-Wohnung in der fünften Etage eines 19stöckigen städtischen Wohnsilos. Ihr Mann hat in allen Ecken Schubladen und kleine Schränke eingebaut, um jeden Quadratzentimenter der Einzimmerwohnung auszunutzen. „Die 300 Familien im Haus streiten viel. Es gibt einfach zu wenig Platz“, sagt Lai. Das 17jährige Gebäude zählt im schnellebigen Hongkong schon als unattraktiver Altbau. Alle Fenster sind vergittert, die rote Farbe ist verblaßt. Hier in Kwun Tong, dem dichtbesiedelsten Viertel, leben 53.600 Menschen auf einem Quadratkilometer.

„Als Chinesin bin ich natürlich froh, daß die Briten gehen. Aber die neue Regierung besteht nur aus Leuten, die Geschäfte mit China machen. Die denken zuerst an sich“, meint Lai. Sie fürchtet, daß künftig noch mehr MigrantInnen aus der Volksrepublik nach Hongkong kommen und die Löhne drücken. Die Einschränkungen der Bürgerrechte lehnt sie ab. „Wenn Freiheiten eingeschränkt werden, wie kann die Bevölkerung dann über soziale Probleme informiert werden?“ Lai ist froh, daß es die Demokratiebewegung gibt. Doch auch die Demokraten täten nicht viel für die kleinen Leute. Lee Cheuk Yan sei einer der wenigen Politiker, der ihre Interessen vertrete.

Lee ist Generalsekretär des unabhängigen Gewerkschaftsverbandes Confederation of Trade Unions und Abgeordneter im Legislativrat. Als Multifunktionär der Demokratiebewegung ist der 40jährige auch Sprecher der Allianz zur Unterstützung der patriotisch-demokratischen Bewegung in China. Das Bündnis organisiert jedes Jahr am 4. Juni eine Demon

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