■ ALTES AUS WURZEN: Honeckertöchter verschränkt
Kürzlich glückte mir eine Reise in vergangene Zeiten, also praktisch in die DDR (Zone). Da ich einen eventuellen Wohnungswechsel ins Auge fassen muß und ich auch über eine Bekannte von einer freiwerdenden Wohnung erfuhr, scheint sich mir diese Sache doch recht fein zu fügen. Jedoch hatte ich dazu noch einen Besuch bei einer Firma zu bewerkstelligen. Diese Firma führt den Namen »Gebäudewirtschaft« (GBW), früher VEB Gebäudewirtschaft (VEB GBW). Und für die Vergabe ihrer Wohnungen ist sie natürlich selbst verantwortlich.
Ich richtete also meine Schritte gemeinsam mit der früheren Mieterin, welche nun die Wohnung abmelden wollte sowie gegebenenfalls mich gleich als Nachmieter anzubieten hätte, zur GBW. Im schlichten Bau waren ein paar Büroräume eher provisorisch eingerichtet, und das war sicher schon seit mehreren Jahren so. In das uns betreffende Zimmer konnten wir unverweilt hineinschlüpfen. Wir waren die einzigen Kunden. In diesem Raum standen in der Mitte zwei Schreibtische Kopf an Kopf, so daß sich die beiden Damen, welche in diesem Zimmer herrschten, bequem anschauen konnten. Es war sehr warm, ja fast schon heiß. Jedoch ergab das noch kein Problem. Die Fenster wurden einfach sperrangelweit geöffnet, und die Wärme konnte wieder leicht entweichen. So war man in der DDR (Zone) jahraus, jahrein in der Lage gewesen, eine angenehme Zimmertemperatur zu schaffen, mit immer frischer Außenluft dazu. Zwei Stühle waren für Besucher vorhanden. Je einer an jedem Schreibtisch, damit pro Dame eine Person sich darauf setzen sowie seine Sorgen aufzählen konnte. Wenn jedoch, wie in unserem Falle, zwei Personen zu nur einer Dame wollen, so kann sich nur einer setzen, da der andere Stuhl ja zur anderen Dame zeigt. Ich stand also, an einen Schrank gelümmelt, und beobachtete unsere Akteure.
Mit verschränkten Armen saßen unsere beiden Damen — ich möchte sie Alfa und Beta nennen, welche beide wohl auf Ende Zwanzig zugehen mochten — recht brav auf ihren Stühlen und ließen sich auch von möglichen Kunden, wie wir es waren, kaum aus der Ruhe bringen. Die junge Dame, welche mich begleitete, versuchte nun ihre Sache darzulegen. Mir, der ich ja stand und somit einen etwas besseren Überblick hatte, mir schien es jedenfalls, daß sie zu Hause alles falsch vorbereitet und hier überhaupt nichts zu suchen hätte. Mit emotionslosem Gesicht machte Beta ihr kopfschüttelnd klar, hier sei nichts zu holen. Alfa vollzog jede Bewegung Betas synchron mit, ich war fasziniert.
Die Sprache kam in der Zwischenzeit auf den eventuellen Nachmieter. Beide, Alfa sowie Beta, wobei ich mir nicht mehr ganz sicher bin, welcher der beiden es zuerst als Erleuchtung kam (ich denke eher, es war Beta — kann aber auch Alfa gewesen sein), jedenfalls beide erkannten in mir blitzschnell den Nachmieter — oder wenigstens den, welcher es gern sein wollte. Ich wurde von beider huldvoller sowie wahrmherzig-verständnissinniger Blicke umwoben, daß es mir schon wieder ganz anders ums Herzlein wurde, echt.
Meiner Begleiterin wurde kurz und kalt beschieden, um Nachmieter sorge sich die GBW selbst. Mir wiederum gab man fast schon echtes Bedauern kund, mit einem Blick, ja, ich weiß auch nicht... Aber wahrscheinlich wollten sie beide nur ihre Modelumpen mit 'nem netten Gesicht ein wenig besser zur Geltung bringen. Ich erklärte ihnen kurz, daß ich aus meiner Wohnung heraus müsse, da sie wegsaniert werde. Sie meinten, wenn ich kein Schwarzmieter sei — diese Bemerkungen konnten die Honeckertöchter nicht unterdrücken, machten sie aber mit ihrem Schmalzgesülze gleich wieder vergessen — würde ich ja eh freigelenkt und erhielt somit eine Wohnung, wenn's soweit wäre. Damit sei auch ich versorgt.
Ja, ich wollte nun eigentlich überhaupt keine Wohnung mehr. Nein, ich wollte jetzt nur noch unsere Honeckertöchter beobachten und in Erinnerungen schwelgen (und schwurbeln). Und mich am Mute der GBW, formals VEB GBW, erfreuen, welche derartig nette Mitarbeiter bezahlen kann. Michael Scholz
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