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Honecker darf seine Anklageschrift nicht sehen

■ Kanzleramtsminister spricht von Verzögerungstaktik/ Differenzen zwischen chilenischen Gesandten

Berlin (dpa/afp) — Die Bundesregierung lehnt die Forderung des früheren DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker ab, ihn vor der Entscheidung über ein freiwilliges Verlassen der chilenischen Botschaft in Moskau Einsicht in die Anklageschrift zu gewähren. Diese Forderung Honeckers „ist nichts als durchsichtige Verzögerungstaktik“, sagte Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) am Donnerstag in einem Interview der Berliner Tageszeitung 'B.Z.‘. Honecker kenne die ihm zur Last gelegten Strafttaten seit über einem Jahr aus dem Haftbefehl, sagte Bohl. Die Bundesregierung wiederholte auch gestern ihre Forderung nach seiner sofortigen Rücküberstellung. Und natürlich will die Bundesregierung auch einer Ausreise des 79jährigen nach Nordkorea nicht zustimmen.

Das Außenministerium in Santiago de Chile hat am Mittwoch Stellung zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden chilenischen Sonderbotschaftern bezogen, die sich in Rußland und Deutschland um eine Lösung bemühen. Der chilenische Sonderbotschafter James Holger hatte sich in Moskau verärgert über Erklärungen des zweiten Gesandten, Roberto Cifuentes, geäußert, in denen dieser Einzelheiten zum Stand der Verhandlungen preisgegeben hatte. Holger, der betonte, daß er der Chef der Vermittlungsmission sei, sagte, damit die Verhandlungen erfolgreich seien könnten, müßten sie nach Möglichkeit geheim bleiben.

Der Sprecher des chilenischen Außenministeriums, Jose Rodriguez Elizondo, bestätigte diese Position und bekräftigte zugleich, daß Holger der von der chilenischen Regierung beauftragte Chef für die Verhandlungen mit Moskau und Bonn sei. Chile hat den Druck auf den früheren SED- Generalsekretär in den vergangenen Tagen verstärkt.

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