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Honecker auf der Krankenstation

Berlin (dpa/taz) — Sowjetische Stellen haben bisher noch keine Entscheidung über die Auslieferung Erich Honeckers an die bundesdeutsche Justiz gefällt. Währenddessen ist der ehemalige DDR-Staats- und Parteichef, gegen den die Berliner Justiz am Freitag Haftbefehl erlassen hat, am Montag morgen von seiner Wohnung auf dem Gelände des sowjetischen Militärhospitals in Beelitz zur stationären Behandlung in die Kardiologische Abteilung des Krankenhauses gebracht worden.Der sowjetische Dolmetscher und Verbindungsmann zu Honecker, Oberleutnant Igor Molotkin, teilte den vor dem Gelände wartenden Journalisten mit, man habe bei Honecker „erhöhten Blutdruck“ festgestellt. Sein Zustand sei ernst.

Er sei während seines Aufenthalts im sowjetischen Militärkrankenhaus schon mindestens einmal für mehrere Tage in die Kardiologische Abteilung gebracht worden. Er nehme sehr viele Medikamente ein. Margot Honecker hatte am Morgen einen Arzt gerufen. Daraufhin wurde der ehemalige Staatschef auf einer Trage liegend in einen Krankenwagen gebracht und mit Blaulicht in die Spezialabteilung transportiert.

Unterdessen werden zwischen deutschen und sowjetischen Stellen Gespräche über die Überstellung Honeckers an die Berliner Justiz geführt. Aufgrund des Truppenstationierungsvertrages ist eine Abstimmung darüber erforderlich. Ein Sprecher der Außenstelle der sowjetischen Botschaft in Berlin teilte am Montag mit, die Frage sei „sehr kompliziert“ und noch nicht entschieden.

Schwierig ist die Frage deshalb, weil Honecker und seine Ehefrau Margot sich seit einigen Monaten auf dem Territorium der sowjetischen Streitkräfte befinden. Der am 12. Oktober 1990 unterzeichnete Truppenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion sichert den Sowjets auf ihrem Militärgelände nach wie vor weitestgehende Souveränität zu. Nach Artikel 14 dieses Vertrages können „Verfahrenshandlungen“ der Staatsanwaltschaft innerhalb des sowjetischen Militärterritoriums nur mit Einverständnis der sowjetischen Behörden vorgenommen werden. Offiziell könnte der Oberkommandierende der sowjetischen Streitkräfte, Boris Snetkow, über eine Auslieferung Honeckers entscheiden. Snetkow will diese Frage offenbar jedoch mit obersten sowjetischen Stellen in Moskau erörtern. Der sowjetische Außenamtssprecher Tschurkin erklärte am Montag, die Sowjetunion betrachte den Fall Honecker in erster Linie als ein humanitäres Problem.

Der Haftbefehl gegen Honecker, der mit dessen Verantwortung für den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze begründet wurde und ihm gemeinschaftlichen Totschlag zur Last legt, wurde trotz des angegriffenen Gesundheitszustandes des 78jährigen weiterhin mit Fluchtgefahr begründet. Einer der drei Anwälte Honeckers kündigte für Montag einen Antrag auf Haftbeschwerde beim Amtsgericht Tiergarten an. Über seine Anwälte hat Honecker sich inzwischen gegen Zeitungsveröffentlichungen gewandt, er habe während eines Strafverfahrens in der Nazizeit ehemalige „Genossen“ verraten.

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