piwik no script img

Honecker: Man hat mich verraten

■ Ex-Regierungschef sieht sich als Opfer einer Verschwörung/ Wahlfälschungen sind „mir ein Rätsel“

Berlin (taz) — Erich Honecker, das Opfer einer finsteren Verschwörung, die ihren Ausgang in Moskau nahm? Einer glaubt daran: Der frühere Staatsratsvorsitzende und Generalsekretär der SED. Sein Sturz, so will es Honecker heute wissen, sei „das Ergebnis eines großangelegten Manövers, dessen Drahtzieher sich noch im Hintergrund halten. Diejenigen, die sich heute mit dieser Tat brüsten, sind dagegen kleine Lichter“. Dokumentiert wird der selbst verfaßte Freispruch demnächst in einem Buch des Berliner Aufbau-Verlag mit dem Titel: Der Sturz — Honecker im Kreuzverhör. Auszüge davon hat die Berliner 'Wochenpost‘ in ihrer neuesten Ausgabe veröffentlicht.

Ihn träfe keine Schuld, beteuert Honecker. Für sein „Scheitern“ macht er „sowjetische Autoren“, das SED-Politbüro und das Zentralkomitee verantwortlich. Die früheren Genossen hätten den Weg in „das totale Chaos“ gewählt und allen „destruktiven Elementen“ den Weg freigemacht. Rückblickend meint Honecker sogar, er sei „für eine gründliche Veränderung der Politik“ eingetreten. So habe er im Frühherbst 1989 selbst Reformen befürwortet. Wie Egon Krenz habe ihn auch Stasi- Chef Mielke hintergangen. Er sei „Mitträger einer Konspiration“, eines „innerparteilichen und auch staatlichen Putsches“ gewesen.

Freispruch auch in Sachen Stasi. Von dessen Machenschaften und der massenhaften Unterdrückung Andersdenkender will der frühere Staatschef nichts gewußt haben. „Ein solches System flächenweit zu entwickeln, wie sich jetzt offenbar herausstellt, das widersprach allen Beschlüssen.“ Auch das Wahlsystem sei „im großen und ganzen in Ordnung“ gewesen. Wie es zu den nachgewiesenen Fälschungen kommen konnte? Honecker: „Das ist mir ein Rätsel.“ Wolfgang Gast

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen