: Holterdipolter mit Haaren
■ Im Schmidts Tivoli startet nächste Woche mit Flora – die rote Gefahr ein Musical, das auch bisherigen Musical-Hassern gefallen könnte
Opulente Orchester, affektierte, glitzernde Hauptdarstellerinnen und kerngesunde, sportliche Helden, all das muß nicht sein. Musicals können auch unpeinlich geraten. Flora – die rote Gefahr, das im Schmidts Tivoli zu sehen ist, überrascht durch Vielfältigkeit. Ein bißchen zu viel Musik und Tanz, um als bloßes Theaterstück durchzugehen, ein ganzes Stück zu straff und unprätentiös, um als weitere Musical-Totgeburt im Kommerzsumpf zu versinken.
Ausgangspunkt für die collagenartige Flipsideshow ist das triste New York der dreißiger Jahre, die Hauptdarsteller sind junge Menschen, die zielstrebig das Unmögliche anvisieren. Allen voran die hübsche, nicht gerade durch Reflexion bestechende Flora, die samt reizender Haut und Haare holterdipolter in das nicht aufzulösende Spannungsfeld zwischen Kapitalismus und Kommunismus gerät.
Erfrischend wirkt dabei, daß diese beiden Ideologien nicht starr und klischeebeladen gegeneinander stehen, sondern durch ihre Vertreter, die verwirrt suchenden Twens, via diverser Überschneidungen auf einer abstrus-profanen Ebene dahinschaukeln. Doch dies alles ist auf keinen Fall simpel und ausschließlich lustig, es gibt weder Lösungsmöglichkeiten noch Happy- End. Das Ganze endet so, wie es enden muß, wie das richtige Leben nämlich, irgendwie schal.
Die aufgrund amerikanischer Gewohnheit präsidentengläubige Flora wird nur deshalb Mitglied der kommunistischen Partei, weil sie sich in Harry verliebt, einen ebenso linientreuen wie stotternden Kommunisten. Als sie dann jedoch unerwartet einen Job in einem Großbetrieb bekommt, gerät sie zwischen die Kraftfelder von Geld und Glück - und verliert schließlich beides. Ihren Job wird sie dank ihres Engagements für die Gewerkschaft wieder los, Harry ist es bei der erbitterten Linksabbiegerin Charlotte ungleich wohler. Also ist Flora weder rot noch Gefahr und deshalb beides.
Das vom Cabaret-Autoren-Duo John Kander (Musik) und Fred Epp (Text) erdachte Jugend-Politik-Musik-Epos wurde von Regisseur Nico Rabenald auf Kammerspiel-Format gebracht. Dabei ist ihm die entfettete Musical-Darreichungsform zweifelsohne gelungen. So sieht Rabenald denn auch „eine Chance darin, sich bei bestimmten Ansätzen des Musicals zu bedienen und dadurch viel Text zu sparen. Ich untermale Dramaturgie nicht mit Hintergrundmusik, sondern verwende vielmehr Musik als ordentliches und gleichberechtigtes Stilmittel.“
Der Tod des Musicals, wie es der verwöhnte „Das-Sweatshirt-zum-Stück-“Träger kennt, wird so eingeläutet. Das Requiem wird zynischerweise in Form eines Musicals stattfinden, die Beisetzung findet im sicherlich engen Kreise bisheriger Musical-Hasser statt.
Benjamin v. Stuckrad-Barre
Ab Mittwoch, den 8. Februar, Schmidts Tivoli, täglich 20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen