Holocaustleugnung auf Facebook: Abschleifen schlimmster Auswüchse
Dass Facebook nun Inhalte von Holocaustleugner:innen verbieten möchte, kommt überraschend. Bisher zeigte der Konzern liberale Gleichgültigkeit.
Facebook erklärte am Montag, Holocaustleugnung als Hatespeech einordnen und deren Verbreitung auf der Plattform unterbinden zu wollen. Der Anlass für die plötzliche Kehrtwende einer lang verteidigten Position liberaler Gleichgültigkeit ist unklar. Schließlich hat Facebook in der Vergangenheit große Mühe aufgewendet, in Streitfällen nicht als eine Art politischer Schiedsrichter auftreten zu müssen.
Jahrelang weigerte sich Facebook sogar, den Antisemitismus, der mit der Leugnung oder Verharmlosung der Schoa verbunden ist, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. In einem Interview erklärte der Facebookgründer Mark Zuckerberg allen Ernstes, dass Holocaustleugner die historische Tatsache nicht unbedingt „absichtlich“ verfälschen würden. Deshalb stünde Facebook die Moderation nicht zu. Schließlich würde auch er, Zuckerberg, selber mal „Sachen falsch darstellen“. Das wäre dann ja ebenfalls keine Hassrede, die, zumindest theoretisch, unter die Moderationsregeln des Netzwerks fiele.
Diese bizarre Banalisierung der offen antisemitischen Aggressivität der Leugnung historischer Realität erfordert schon eine erhebliche Ignoranz. Und vielleicht einen Blick auf die Zahlen der Plattform. Antisemitismus oder generell gruppenbezogener Menschenhass sind keine originären Kinder der sozialen Medien. Das Problem mit Facebook ist jedoch ein größeres als nur ein laxer Umgang mit der Aufstachelung zum Hass. Wiederholt wurde nachgewiesen, dass Facebook bestimmte Äußerungen nicht einfach nur zulässt.
Die Verbreitung zum Beispiel der Holocaustleugnung wird durch die algorithmische Sortierung besonders gefördert. Je zugespitzter die Position, umso intensiver die Reaktionen, umso höher die maschinelle Bewertung und daraus folgend die Reichweite sind. Das digitale Ideal der vorurteilsfreien Verbindung zwischen Menschen kehrt sich somit ins Gegenteil. Und das Gerücht, die üble Nachrede, der Hass reisen wie zu analogen Zeiten noch immer deutlich schneller.
Facebook kann kein Schiedsrichter sein
Das wird sich mit dem Facebook-Verbot für Holocaustleugnung nicht ändern. Der Versuch, die lauter werdende Kritik an der Rolle der Plattform bei der Verbreitung von Desinformation und Hass mit dem Abschleifen ihrer schlimmsten Auswüchse zu begegnen, mag punktuell begrüßenswerte Ergebnisse zeitigen. Das Problem aber bleibt bestehen. Denn in einem hat Zuckerberg schon immer recht gehabt: Facebook kann und soll tatsächlich nicht Schiedsrichter über die Wahrheit sein.
Jedoch muss klar werden, welchen Anteil soziale Netzwerke durch ihre Funktionsweise an der Konstruktion der Realität haben. Immerhin begründet das Netzwerk den aktuellen Schritt mit Erkenntnissen über die möglichen Auswirkungen von Holocaustleugnungen auf die Einstellungen von Menschen gegenüber geschichtlichen Tatsachen und für einen wachsenden Antisemitismus.
Nur sind diese Erkenntnisse überhaupt nicht neu und keineswegs auf Antisemitismus beschränkt. Entsprechend ambivalent sieht Yael Eisenstat, bis 2018 Verantwortliche bei Facebook für die Integrität des Netzwerks in Wahlkämpfen und bei politischen Werbekampagnen, die Selbstregulierung des Netzwerks. Gegenüber Time erklärte sie: „Der Fakt, dass Zuckerberg nach Jahren [...] endlich akzeptiert hat, dass Holocaustleugnung eine offen antisemitische Taktik ist, ist natürlich ein gute Sache.“ Wenn diese Entscheidung jedoch nicht mit einer kompletten Überarbeitung des Geschäftsmodells der Plattform begleitet werde, sei sie weitestgehend wertlos.
Insofern ist es beinahe gleichgültig, was der konkrete Anlass des Verbots war, etwa kontinuierliches Lobbying oder die Versuche legislativer Eingriffe durch die EU-Staaten und den US-Kongress. Denn der Kampf um ein Netz, das seine Kraft nicht aus Hass speist, sondern wirklich verbindendes und schöpferisches Werkzeug ist, hat noch nicht einmal richtig begonnen.
Und es ist gewiss keine zu gewagte Prognose, dass Facebook in diesem Kampf auch nach der angekündigten Sperrung von Holocaustleugnungen kein verlässlicher Verbündeter sein wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene