: Hohes Wortspiel
■ Der österreichische Schreiber und Performer Anselm Glück im Literaturhaus
Kunst ist nur ein Teil der Unterhaltungsindustrie und ein guter Verlag würde seine Autoren auf Video präsentieren, meint Anselm Glück. Literatur nur schrill und grell, oder einfach leicht und locker? Keineswegs. Glücks Performance ist der Beweis: Er beschränkt sich auf die visuelle Abrundung der Texte und verzichtet auf unnötige Reize. Seine Stimme ist entschieden aber nicht laut und die Gestik bescheiden. Das hat seinen Grund. Kreatives Reflektieren und Konzentration sind beim Zusehen und Hören genauso gefordert wie beim Lesen der Texte. Es sind kleine Geschichten, die Glück aus dem Sprachmaterial fremder Texte komponiert hat. Sie blitzen mo- menthaft kurz auf, bis sich im Kopf der Lesenden die Fragezeichen gesammelt haben. Manche Sprachbilder scheinen nämlich vollkommen zufällig, doch eigentlich sind sie nur unerwartet oder bewußt paradox. Sie sind Stoppschilder für eine oberflächliche Suche nach Sinn. Der Autor vermittelt seine Erkenntnisse über sich verändernde Zustände des Seins und der Welt in poetischen Skizzen. Er zwingt nicht eine bestimmte Wahrnehmung auf, sondern erzeugt den dringenden Wunsch, das Bild neu- oder weiterzudenken. Es ist zwar schwer, aber lohnenswert, sich dabei an Glück selbst zu orientieren und bestehende Ordnungen möglichst unbeachtet zu lassen.
„in meinen kleinen kopf hineingereimt, steht die welt nach allen richtungen hin offen da. milliarden und abermilliarden augen blicken sich auf ihr um, und so gesehen sind alle ereignisse vor allem flackernde bilder“, heißt es bei Glück.
Mit sympathischem Wiener Akzent – allerdings nicht immer leicht zu verstehen – spielte Glück auch Bilder aus seinem Leben. Die Beobachtungen waren oft grotesk, aber der Vortrag höchstens ironisch und nicht geringschätzig.
Es gab bei Glück einiges zu lachen. Der literarische Entertainer konnte Bitterernstes aus der Kindheit vermitteln, ohne das Publikum in Betroffenheitsstarre zu nötigen. Etwas länger hätte da das Vergnügen gern dauern können.
Ralf E. Werner
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