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Hohe Rechnung für den Strich

■ Kurzer Prozeß für „beharrliche“ Prostitution im Steintor / Staatsanwalt wollte Präzedenzfall

Daß Ilona M. nicht vor Gericht erscheinen würde, hatte Amtsrichter Eder schon geahnt, den Prozeß als letzten auf die Montagsliste gesetzt und keine Zeugen eingeladen. Die Prozeßaufforderung, die Ilona M. trotz Benachrichtigung nie abgeholt hatte, lag noch immer bei der Bundespost. Die Beklagte hingegen blieb trotz mehrfacher Aufrufe der Gerichtsreferandarin verschwunden. Der Richter zählte die für diesen Fall vorgesehenen drei Möglichkeiten auf: Das Verfahren einzustellen, die Beklagte polizeilich vorführen lassen oder einen Strafbefehl ausstellen.

Er plädierte auf Strafbefehl. Einstellen wollte er auf keinen Fall, denn es galt, so etwas wie eine Präzedenzfall zu schaffen und damit den unhaltbaren Zustand der „Rechtsunsicherheit“ zu beenden, in dem sich das Amtsgericht seit einem Jahr befindet. Dorthin gebracht hatte es ausgerechnet ein Amtsrichter, der ein Verfahren mit gleichem Gegenstand, nämlich der „mehrfach unerlaubten Ausübung der Prostitution“, kurzerhand ans Ordnungsamt zurückgegeben hatte. Die Staatsanwaltschaft ging in Revision, doch auch das Landgericht sah keinerlei Handlungsbedarf, da die Frau sich nachweislich auf dem „Weg der Besserung“ befand. So war der Fall für diese Angeklagte mit einem Bußgeld erledigt.

So viel Glück hatte Ilona M. nicht. Staatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach schloß sich der Meinung des Vorsitzenden Richters an, daß es sich bei der von Ilona M. begangenen Tat nicht bloß um eine Ordnungswidrigkeit handelt, sondern um eine Straftat. Der Unterschied liegt in der Häufigkeit, mit der gegen die Gesetze verstoßen wurde. Und Ilona M. war immerhin schon zweimal erwischt worden, hatte also „beharrlich“ im Sperrbezirk agiert. Die Angeklagte wurde in Abwesenheit zu einer Geldstrafe verurteilt, eine Gesamtstrafe, die eine noch ausstehende Schuld aus alten Tagen und anderen Delikten mitberücksichtigt. Die ehemals über 30 Tagessätze a 15 Mark lautende Forderung erhöhte sich auf 40, die Sozialhilfeempfängerin wird 600 Mark bezahlen müssen.

Ein hartes Urteil, meint Hans-Jörg Wilkens, Leiter des Stadtamtes. Weniger wegen der Summe, denn die Geldbußen des Ordnungsamt liegen nicht viel niedriger. Wer sich das erste Mal bei der Straßenprostitution im Steintor erwischen läßt, zahlt 200, das zweite Mal schon 300 Mark.

Die Grenze liegt bei 180 Tagesätzen, die sich jeweils nach dem Einkommen richten. Aber nach offizieller Rechtsmeinung sollten „mindestens zwei bis drei Anzeigen“ des Ordnunsgamtes vorgelegen haben, bevor die Justiz eine Anklage wegen „beharrlicher“ Ausübung der Prostitution in Betracht zieht.

„Das Gericht hätte“, so Hans-Jörg Wilkens, „durchaus einstellen und an uns zurückgeben können.“ Hat es aber nicht. Ein Zeichen durchgreifender Härte für die Zukunft? Möglich, räumt der Amtsleiter ein, warnt aber gleichzeitig vor bloßer Repression.

Er sehe sich an den Senatsbeschluß gebunden, der vor einem Jahr dazu führte, daß der staatlich geduldete Strich in der Friesenstraße aufgelöst wurde. Dieser Beschluß habe jedoch auch vorgesehen, „Repression mit Betreuung zusammenzuführen“. Dies sieht der Amtsleiter nicht eingelöst, im Gegenteil. Der Drogenbus wurde abgeschafft, die Stadt strich sämtliche Angebote für die Beschaffungsprostituierten zusammen und will ihnen offensichtlich mit zunehmender Härte begegnen. Wilkens: „Nur bestrafen macht aber keinen Sinn, weder in Hinsicht auf die individuellen Prostituierten, noch in Hinsicht auf einen Bürgerschutz.“

dah

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