Hohe Hürden für Beitrittskandidaten zur Nato

14 Ex-Ostblockländer drängen auf einen schnellen Beitritt zum Nordatlantischen Bündnis. Die Nato hat bereits grünes Licht gegeben. Doch die Organisation entscheidet nach Gutdünken über die Aufnahme neuer Mitglieder  ■ Von Georg Baltissen

Heute treffen die Nato-Außenminister auf ihrer Frühjahrstagung in Berlin mit ihren Kollegen aus den ehemaligen Ostblockstaaten zusammen. Auch eine Begegnung mit dem russischen Außenminister Jewgeni Primakow ist geplant. Dabei wird es vor allem um ein Thema gehen: die Osterweiterung der Nato. Seit der Auflösung der Ost- West-Konfrontation im Jahre 1989 steht die Frage nach der Zukunft der alten Militärblöcke zur Diskussion. Im Januar 1990 erklärte der damals noch tschechoslowakische Präsident Václav Havel, daß „beide militärischen Bündnisse aufgelöst werden könnten“, da sie ihre Existenzberechtigung verloren hätten. Der Warschauer Pakt löste sich im Dezember 1991 auf, die Nato nicht. Sie suchte nach einer Neudefinition ihrer Aufgaben und Ziele. Die Diskussion um die Osterweiterung des Bündnisses wurde aber nicht von der Nato selbst initiiert, sondern von den mittelosteuropäischen Staaten. Diese wähnten sich in einem Machtvakuum und suchten vor möglichen russischen Unwägbarkeiten Schutz beim ehemaligen Antipoden.

Auf der Suche nach einer Neubestimmung der eigenen Ziele kam der Nato dieses Sicherheitsbedürfnis aus dem Osten keineswegs nur gelegen, obwohl es dem Verteidigungsbündnis eine neue Existenzberechtigung versprach. Während Deutschland einer Osterweiterung der Nato von Anfang an positiv gegenüberstand, machten sich in Frankreich und Großbritannien Bedenken breit, vor allem gegen eine vermutete Arrondierung neuer deutscher Einflußgebiete. Auch die Rücksichtnahme auf die instabile Lage Rußlands ließ einige Mitglieder zögern. Zudem verfügte die Nato mit dem Nordatlantischen Kooperationsrat und dem im Januar 1994 beschlossene Programm „Partnerschaft für den Frieden“ über zwei kooperative Instrumente, ein neues gesamteuropäisches Sicherheitssystem zu etablieren.

Entschieden wurde die Diskussion um eine Osterweiterung des Bündnisses nicht in Europa, sondern durch das Ende der kontroversen Debatte in der US-amerikanischen Administration. Während sich der damalige amerikanische Verteidigungsminister Lee Aspin gegen eine Erweiterung der Nato aussprach, votierten Sicherheitsexperten wie Henry Kissinger und Zbigniew Brzezinski für die Aufnahme neuer Mitglieder. Die Republikaner schrieben diese Forderung sogar in ihr Wahlprogramm „Contract for America“ und setzten damit die Clinton- Administration unter Druck, der Frage nicht länger auszuweichen. Um die Fortsetzung des europäischen Engagements der USA zu begründen und zugleich der Kritik die Spitze zu nehmen, entschied Bill Clinton die interne US-Debatte im Januar 1994 mit der Erklärung, bei der Erweiterung der Nato gehe es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie und Wann. Freilich monierte der demokratische Senator Sam Nunn, ehemaliger Vorsitzender im Verteidigungsausschuß, noch im Juni 1995, daß er jede Erklärung dafür vermisse, warum die Nato sich ausdehnen solle. Nunn warnte vor den Folgen einer unüberlegten Nato- Erweiterung.

Die Entscheidung Clintons entsprang durchaus auch der Absicht, den amerikanischen Führungsanspruch in einem Bündnis zu bekräftigen, das durch seine Untätigkeit und das offensichtliche Versagen seiner Mitgliedstaaten auf dem Balkan an Einfluß verloren hatte. Die zerstrittenen europäischen Mitglieder der Nato konnten erst durch die Führung der USA zu einer militärischen Beendigung des Krieges auf dem Balkan veranlaßt werden. Mit dem größten Militäreinsatz in der Geschichte der Nato hat sich das Bündnis nach eigenem Verständnis nicht nur ein Stück Existenzberechtigung wiedererobern können. Es hat auch seinen Führungsanspruch in einem wie immer gearteten europäischen Sicherheitssystem unter Beweis gestellt und mit diesem „Out-of- aerea“-Einsatz zugleich die selbstdefinierte Rolle eines „Friedenserzwingers“ manifestiert. Wenn die Nato jedoch aus Bosnien abzieht, bevor der Frieden halbwegs gesichert ist, stellt sie ihre gerade hinzugewonnene Existenzberechtigung wieder zur Disposition.

Auf ihrer Tagung im Dezember 1994 gab die Nato eine Studie über die Bedingungen und Grundsätze für die Aufnahme neuer Mitglieder in Auftrag. Zugleich machte sie klar, daß Rußland und die Ukraine von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen blieben. Die Nato zog damit eine neue Trennungslinie durch Europa. Der sowjetische Außenminister Andrej Kosyrew verweigerte daraufhin seine Unterschrift unter das Programm „Partnerschaft für den Frieden“.

Die Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder wurden im September 1995 veröffentlicht. Von neuen Mitgliedern wird eine Stärkung des Bündnisses verlangt und die Übernahme aller Rechte und Pflichten gefordert, einschließlich der möglichen Stationierung atomarer Waffen und Truppen der Bündnispartner. Beitrittskandidaten müssen vorab ihre ethnischen oder externen territorialen Streitigkeiten beigelegt haben, eine Forderung, die die Mitgliedstaaten Türkei und Griechenland nicht erfüllen. Grundsätzlich, so die Studie, gäbe es „keine starren oder gleichbleibenden Kriterien“ der Aufnahme. Die Nato behält sich vor, je nach Opportunität über die Aufnahme eines neuen Mitglieds zu entscheiden. Dem müssen dann alle 16 Nato-Staaten zustimmen.

Verteidigungsminister Volker Rühe stellte zu Beginn der diesjährigen Nato-Frühjahrstagung in Aussicht, daß die ersten neuen Mitglieder im Jahre 2000 aufgenommen werden könnten. Um Aufnahme bewerben sich Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien Slowenien und Makedonien sowie Estland, Lettland und Litauen. Die meisten Chancen auf baldige Aufnahme haben Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei.