: Hohe Haftstrafen für DDR-Grenztruppenchefs
■ Sechs ehemalige Kommandeure wegen des Befehls zum Schußwaffeneinsatz zu drei bis sechseinhalb Jahren verurteilt. Richter als „Dreckskerl“ beschimpft
Berlin (dpa) – Wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze hat das Berliner Landgericht gestern sechs ehemalige Kommandeure der DDR-Grenztruppen zu Haftstrafen bis zu sechseinhalb Jahren verurteilt. Die höchste Strafe erhielt der einstige stellvertretende DDR-Verteidigungsminister und langjährige Grenztruppenchef Klaus-Dieter Baumgarten (65). Das Gericht sah es als erwiesen an, daß die Generäle Befehle für den Schußwaffeneinsatz an der deutsch-deutschen Grenze sowie zur Verlegung von Minen erteilten oder mitberieten.
Das Gericht sprach Baumgarten des elffachen Totschlags und fünffachen versuchten Totschlags an DDR-Flüchtlingen schuldig. Die übrigen fünf Generäle wurden wegen Beihilfe verurteilt. Das niedrigste Urteil lautet auf drei Jahre und drei Monate Haft. Die Verurteilten, die alle Revision ankündigten, müssen zunächst nicht ins Gefängnis. Sie sind bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von der Haft verschont.
Der Vorsitzende Richter der 36. Großen Strafkammer, Friedrich- Karl Föhrig, bezeichnete in der Urteilsbegründung die Tötung von Flüchtlingen als strafbares Unrecht. Menschen „aus Staatsräson abzuschießen“ sei „elementar menschenrechtswidrig“. Die Generäle seien zwar nicht die „Erfinder“ des Grenzregimes gewesen, hätten jedoch das System bejaht, „in dem sie Rädchen, wenn nicht schon Räder waren“.
Nach dem Urteil brach im Zuschauerraum Tumult aus. „Klassenjustiz“, „Dreckskerl“ wurde der Vorsitzende beschimpft. Grund: Richter Föhrig hatte in seiner Urteilsbegründung auch das Publikum angegriffen. Für ihn stellten die Zuschauer eine „kommunistische Plattform von DDR- Nostalgikern“ dar: „Verärgert reagierend, wann immer eine heilige Kuh geschlachtet werden mußte, von Heiterkeit geschüttelt, wenn ein verletztes Minenopfer die Anzahl der umherfliegenden Splitter überschätzte“.
Als Zeichen der Ermutigung für die Opfer des „Stacheldraht-Regimes“ hat CSU-Generalsekretär Bernd Portzner das Urteil bezeichnet. Der PDS-Ehrenvorsitzende kritisierte hingegen, das Urteil setze sich über die geschichtliche Tatsache hinweg, daß an der Grenze jahrzehntelang der Kalte Krieg zwischen Ost und West tobte und die Erschossenen und Verletzten Opfer der Teilung seien.
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