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Hoffnung auf Multikultur

■ David Amitin mit seinem Auswanderer-Stück L Gran Illusion bei Movimientos '92, dem Sommertheater auf Kampnagel

mit seinem Auswanderer-Stück La Gran Ilusión bei Movimientos '92, dem Sommertheater auf Kampnagel

Mit seinem ersten selbstverfassten Stück La Gran Ilusión kehrt der italo-amerikanische Regisseur David Amitin zu den Wurzeln des modernen argentinischen Staates zurück. Der große europäische Exodus nach Argentinien zwischen 1850 und 1930 liefert den historischen Hintergrund für seine mit großem Ensemble erzählten Aussiedlergeschichten. Religiös und politisch Verfolgte kamen damals ebenso zu Tausenden auf abgewrackten Schiffen nach Südamerika wie Arme, denen man dort das Land, wo Milch und Honig fließt, versprochen hatte. Vornehmlich Juden, die vor den Progromen flohen, Italiener und Spanier besiedelten damals die Neue Welt.

Gleichzeitig wendet sich Amitin, der in den 80er Jahren in Europa als Regisseur des Absurden Theaters bekannt wurde, dem Volkstheater zu. Seine Geschichte von der Überfahrt nach Amerika ist eine konventionell inszenierte Bilderfolge, die in anschaulichen und einfühlsamen Szenen das Leben der verschiedenen Gruppen auf dem Hinterdeck des Schiffes schildert, mit dem sie im Jahre 1899 von Genua aus nach Buenos Aires aufbrechen, um just am 1. Januar 1900 dort anzukommen.

In einem Meer von Koffern bauen sich während der Überfahrt die ethnischen und moralischen Konflikte zwischen der Gruppe der Juden, der Italiener und der Spanier langsam ab. Persönliche Konflikte in verschiedenen Konstellationen führen zu Verständigung. Zwar werden die Ressentiments nicht völlig aufgelöst, aber eine sichtbare Veränderung stellt sich bei allen Beteiligten ein. Im letzten Bild trennen sich dann die Wege wieder, aber die gemeinsame Fremdheit in der neuen Heimat formuliert eine sehr vordergründige Hoffnung auf Multikulturalität.

Mit einem sowohl romantischen wie optimistischen Duktus inszeniert Amitin diese Reise ins vermeintliche Paradies. Sein stetiger Versuch, in allen Figuren das Gute darzustellen, führt zu einem mal rührigen, mal fesselnden, mal kitschigen Resultat, dessen Gesamtstimmung doch ein wenig märchenhaft ist. Pathos und Verzweiflung wechseln sich ab, sozialistische Agitation hier und menschliche Tragödien dort umschließen ein Mosaik aus Hingabe, Hoffnung und Angst. Insbesondere die jüdische Familie sorgt für Reibungen. Doch auch sie lösen sich am Ende in zaghaften Berührungen auf.

Verdis Musik und die Szenen um leidenschaftliche Liebe, die in allen Fällen tragisch endet, sowie die ins Gemütliche stilisierten Bühnenbilder vom Elend der Überfahrt vervollständigen den Eindruck des Volkstheaters, das zwar in seiner geschlossenen Form einen schönen Theaterabend liefert, beim Sommertheater aber ein wenig deplaziert wirkt. Till Briegleb

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