: Hofbericht für einen Narren
Schlingensief war in Wien und Paul Poet hat es gefilmt. Doch leider funktionierte die Inszenierung der Empörung zu vorhersehbar – das kann die Dokumentation „Ausländer raus – Schlingensiefs Container“ nicht verbergen. Doch wer kann schon dem Charme des Regisseurs widerstehen
Wenn’s um Christoph Schlingensief geht, denkt man oft an eine schöne Szene vom Experimentalfilmfestival 68 im belgischen Knokke, wo eine Gruppe linker Surrealisten aus Frankreich nackt im Saal herumstand und „Réalité!“ skandierte. Diese Szene ist unter anderem in Gerd Conradts Holger-Meins-Film „Starbuck“ dokumentiert. Schlingensief will sich realitätserzeugend an die so genannte Realität ankoppeln und entwickelte dementsprechende Maschinen, Organisationen, soziale Skulpturen, in denen „Realität“, Inszenierung, Schauspieler und Zuschauer nicht mehr zu unterscheiden waren. Die Wirklichkeit, mochte sie sich auch noch so sehr aufspielen, wurde zum Bestandteil der Inszenierung: zum Beispiel in der Kunstpartei „Chance 2000“.
Eine seiner spektakulärsten Aktionen fand im Juni 2000 in Wien statt, kurz nachdem die FPÖ zur Regierungspartei geworden war. Intelligenz und Kulturschaffende demonstrierten allwöchentlich; in der EU versuchte man Österreich ein bisschen zu isolieren, und Jean-Luc Bondy hatte Schlingensief auf die Wiener Festwochen eingeladen. Der nahm seinen Ruf als Schockregisseur ernst und stellte ins touristische Zentrum der Stadt einen Container mit zwölf Asylbewerbern, die rund um die Uhr durch Kameras und durch Peepshowschlitze auch direkt bei ihrem Tagesablauf zu bebobachten waren. Über dem Container hing ein Transparent mit dem Slogan „Ausländer raus“. Jeden Tag traten auch Prominente aus Kultur und Politik auf dem Dach des Containers auf; u. a. Peter Sellars, Gregor Gysi, Elfriede Jelinek, die Einstürzenden Neubauten. Via Internet wählte das interessierte Publikum tagtäglich die Bewerber raus, die es nicht so gut fand. Die Loser wurden „abgeschoben“. Nur einer blieb über. Der gewann dann 35.000 Schilling.
Der Wiener Regisseur mit dem schönen Namen Paul Poet hat das Spektakel begleitet. Sein Film heißt „Ausländer raus – Schlingensiefs Container“ und dokumentiert das Geschehen. Böswillig könnte man von einer gelungenen Hofberichterstattung sprechen: Hier ein paar Altnazis, Gutmenschen oder dämliche Demonstranten, die alle nicht zwischen echt und inszeniert unterscheiden können und irgendwann mit einer Demo versuchen, die Insassen des Containers zu befreien, da die schlauen Aktionskünstler mit ihren Denkanstößen. Die einzigen kritischen Stimmen kommen von Vertretern der FPÖ.
Wer einen Film über Schlingensief macht und sich auf dessen Universum einlässt, hat es schwer, der Affirmationsfalle zu entkommen: Zu charmant ist der Regisseur, zu sympathisch seine Mitstreiter, zu loserhaft die Gegner, die Schlingensief fürs Gelingen braucht. Vor allem funktionieren seine Sachen ja immer wider Erwarten. Wobei das Gelingen der Wiener Aktion in erster Linie wohl darin bestand, dass sie zu Diskussionen im öffentlichen Raum führte und das Bild mit dem „Ausländer-raus“-Transparent als ein Statement, das nach seinem Gegenteil verlangte, um die Welt gehen konnte.
Als Big-Brother-Interpretation jedoch war „Ausländer raus“ eher schwach. Zu sehr befand man sich auf der symbolischen Fake-Ebene, vermischte sich das Symbolische mit dem Wirklichen, bewegte sich das Mitmachtheater im Modus des So-tun-als-ob mit So-tun-als-ob-Internetabstimmungen und nachfolgenden So-tun-als-ob-Abschiebungen. Das Interesse, das bei Big Brother den Bewohnern des Containers in Hürth galt, mochten sie auch noch so häufig von endemol verraten worden sein, widmete sich zumindest im Film von Paul Poet dem Geschehen außerhalb des Containers, den von allen guten Geistern verlassenen Demonstranten, die versuchten die Insassen zu befreien, den Passanten, die beleidigt waren über den Schandfleck in ihrer Stadt, den Irren, die sich die Forderung auf dem Transparent ganz ernsthaft zu Eigen machten, den prominenten Gästen und ihren Beiträgen und natürlich Christoph Schlingensief. Peter Sloterdijk philosophiert ein bißchen, Gregor Gysi hält eine eleoquente Rede, eine Frau von der FPÖ betont, dass Österreich kein Einwanderungsland und Schlingensief ein untalentierter Rattenfänger sei, die Einstürzenden Neubauten machen Industriekrach wie damals in den 80ern, Peter Sellars steht auf der Bühne und sagt, dass derlei Aktionen überall auf der Welt gemacht werden müssten. Großer Beifall. Später sagt Schlingensief, gut und schön, nur sei er sich ziemlich sicher, dass Peter Sellars eben derlei selber nicht inszenieren würde.
Über das Leben im Container oder darüber, wie die Insassen das so fanden, was sie sich davon versprachen und ob das rückblickend eine gute Sache für sie war, erfährt man kaum etwas. Die Asylbewerber sind definitiv nicht die Stars der Geschichte, die wie eigentlich alle Schlingensief-Arbeiten brisant nur im Moment ihrer Liveaufführung waren. Als Wiener Stimmungsbild von 2000 ist der Film trotzdem recht interessant.
DETLEF KUHLBRODT
„Ausländer raus!“, R.: Paul Poet. Österreich 2001, 90 Min.