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Hölderlinwirdgelesen

RückbezugaufromantischeKlassiker  ■  Ohne Zusammenhang

Soweit jedenfalls sind wir in einem Jahr bis zur deutschen Einheit gekommen: Der »Zusammenhang« ist die erste Order, jedes noch so eigenständige, vielleicht fade, vielleicht auch fabelhafte Ereignis gehört auf Biegen und Brechen verknüpft mit deutschen Brüchen und Umbrüchen.

Zum 9. November des Jahres 1 kündigt das Theater Forum Kreuzberg einen Hölderlin-Abend an, einfach so, ohne weisende Worte. Aha! entfährt es dem Zusammenhangs-Denkenden, hier haben wir doch reelle Erfolge der Rückbesinnung auf das gesamt-Deutsche: An Hölderlins »ekstatisch« verfaßten, momentanen »Versenkungen« (Sekundärlit.) in der Natur, seinen Huldigungen des »hohen ernsten Genius und des heiligen Waldes« (Hölderlin) im Gesang des Deutschen, hält sich doch zitierenderweise gern und vorbildlich der Einheitskanzler schadlos, wenn er schwierige Umstände des deutschen Wesens und Waldes vor der Welt ausbreitet. Auch der Titel des Hölderlin-Abends klingt wie Programm: »...im Winde klirren die Fahnen«, scheint doch gleich den Verdacht zu bestätigen auf christlich-demokratische Wahlkampfwerbung, hängen sie doch wieder hoch in Kurs und zahlreich in herbstlichem Schwarz-Rot- Gold in deutschen Vorgärten.

Doch gibt es tatsächlich noch »historische Penner« oder glückliche Individuelle, die das sorgsam antrainierte Zusammenhangsdenken Lügen strafen. Der Schauspieler Helmut Raimund, Gestalter und Rezitator des Hölderlin-Abends heute, erweist sich als ein solcher. Für ihn ist dieser Tag einer von vielen, sein Programm ein lange vor dem Mauersturm geplantes. Zwei Jahre verbrachte er als Sprachtherapeut in einer Klinik im Schäbischen und lernte die muffig-deutsche, kleinbürgerliche Atmosphäre vor Ort kennen, die schon Schiller und Hölderlin aus ihrer Heimat flüchten ließ.

Hölderlins Hexameter gaben Raimund den Anlaß, dessen Dichtung unter therapeutischem Aspekt zu betrachten. Er erzählt, daß die ersten Anzeichen der geistigen Verwirrung des ganz im griechischen Versmaß versunkenen Dichters mit Hexametern behandelt wurden, die Studenten ihm im Tübinger Turm vorlesen mußten.

Mit der Lyrik Hölderlins verfolgt Raimund das Leben des Dichter von der prophetischen Berufung zu den gesellschaftskritischen Ansätzen, die durch die französische Revolution und die Ideen Fichtes beflügelt wurden, von der unglücklichen Liebe zu Susette Gontard bis zur Verzweiflung über die Dürre der Zeit, in der nichts Neues zu finden war.

Im Theater Forum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21, 1-36, 20 Uhr. schäf

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