: Höchste Flutwelle der Hafengeschichte
Vor 25 Jahren ließ Orkan „Capella“ die Deiche brechen ■ Von Hans-Jürgen Ehlers und Gernot Knödler
Orkanböen rasen mit bis zu 150 Stundenkilometern an die norddeutsche Küste, in der sturmgepeitschten Nordsee geraten die Schiffe in Seenot: Am 3. Januar 1976 treibt das Orkantief „Capella“ die höchste Flutwelle des 20. Jahrhunderts an die Nordseeküste – an der Elbe und an den Küsten brechen die Deiche. Im Kehdinger Land (Niedersachsen) und in der Haseldorfer Marsch (Schleswig-Holstein) werden 100.000 Hektar Land überflutet, ein Gebiet zwei mal so groß wie West-Berlin.
An zwölf Stellen rissen die tosenden Wassermassen vor 25 Jahren metertiefe Löcher in die Uferbefestigungen. Tausende von Menschen mussten vor der Flut in Sicherheit gebracht werden. In St.Pauli kletterte der Pegelstand auf 6,45 Meter über Normal Null. Das waren 4,5 Meter über dem mittleren Hochwasser und 75 Zentimeter mehr als bei der verheerenden Sturmflut in der Nacht zum 17. Februar 1962. Damals waren 315 Menschen in der Hansestadt ums Leben gekommen.
Im Gegensatz zu 1962 ertranken 1976 in den Überflutungsgebieten keine Menschen. Lediglich in Nindorf im Landkreis Stade erlitt ein 80-Jähriger bei der Flucht vor dem Hochwasser einen tödlichen Herzanfall. Mehr als 6000 Helfer retteten tausende Menschen, die vom Wasser eingeschlossen worden waren. Kühe, Schafe und Schweine ertranken massenhaft.
Der Sachschaden war gigantisch: Allein an den Deichen der vier Küstenländer entstanden Schäden in Höhe von 60 Millionen Mark. Darüber hinaus wurden in Schleswig-Holstein 150 Millionen Mark und in Niedersachsen 50 Millionen Mark an Sachschäden gemeldet. In Hamburg, das die höchs-te Flutwelle in der 768-jährigen Geschichte seines Hafens verzeichnete, beklagten Firmen einen nicht versicherten Schaden von einer Milliarde Mark, und das, obwohl die Deiche hielten.
Dass das Wasser in den vergangenen Jahrzehnten immer höher gestiegen ist, lässt sich an den Kaihäusern der Speicherstadt ablesen: Die unterste Reihe ihrer Lade-Pforten ist zugemauert. Der steigende Meeresspiegel und eine starke Häufung von Sturmfluten machten dem Senat so viel Sorge, dass er vor fünfeinhalb Jahren ein neues Hochwasserschutz-Programm beschlossen hat. Für rund eine Milliarde Mark sollen bis 2007 etwa 100 Kilometer Deiche und Hochwasser-Schutzwände erhöht werden. Mehr als 65 Kilometer davon sind bereits fertig. Sie schützen vor allem Wilhelmsburg, die Vier- und Marschlande sowie Billbrook.
Mit steigender Höhe beanspruchen die Deiche immer mehr Platz. Waren sie 1962 noch bescheidene 12,10 Meter breit und 5,70 Meter hoch, dämmten 1976 Wälle von 42,70 Metern Breite und 7,20 Meter Höhe die Elbe. Die neueste Deich-Generation ist am Fuß 53,50 Meter breit und acht bis 8,50 Meter hoch. Dort, wo es dafür an Platz fehlt, etwa vor dem Großmarkt oder in Billwerder, werden Schutzwände gebaut.
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