: Hoechst leidet an Seehofers Reformen
Gewinne des Chemiegiganten erodierten im Geschäftsjahr 1993 / Konzernchef Hilger sieht „Silberstreif am Horizont“ / Luft im Kühlmittel sorgte für Explosion ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt
Es war seine letzte Bilanzpressekonferenz. Und wohl nie zuvor ist dem vor der Pensionierung stehenden Vorstandsvorsitzenden von Hoechst, Wolfgang Hilger, der zum Ritual gewordene Gang vor die Weltpresse schwerer gefallen als gestern: „Das Betriebsergebnis des Hoechst-Konzerns ist um 31 Prozent auf 1.476 Milliarden D- Mark zurückgegangen“, klagte Hilger. Und weil das Betriebsergebnis im Pharmabereich 1993 extrem mager ausfiel (minus 123 Millionen Mark), klagte der Konzernchef auch an – nämlich Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) und die niedergelassene Ärzteschaft in Deutschland: „Durch Preisabschläge im Rahmen der Seehofer-Reform und durch die zurückhaltende Verschreibungspraxis der Ärzte haben wir rund 150 Millionen D-Mark Umsatz verloren.“
Doch nicht nur im Pharmabereich klemmte es im vergangenen Geschäftsjahr ordentlich bei Hoechst: Auch bei Chemikalien und Fasern und besonders auf dem „Arbeitsgebiet Polymere“ mußte der Konzern Ertragseinbrüche in dreistelliger Millionenhöhe hinnehmen. Für Hilger trägt der „Margenschwund in Westeuropa“ – und besonders in der Bundesrepublik – die Hauptverantwortung dafür, daß der Gewinn vor Steuern des gesamten Konzerns 1993 auf magere 1.227 Milliarden Mark zusammenschrumpfte. Das sind 42 Prozent weniger als 1992. Und im Vergleich mit der Bilanz 1991 (2.562 Milliarden Mark) haben sich die Gewinne von Hoechst glatt halbiert.
Daß der Konzern dennoch (noch) schwarze Zahlen schreibt, verdankt er einem kräftigen Umsatzzuwachs im Nicht-EU-Ausland – vor allem in Nord- und Südamerika. Innerhalb der EU und vor allem in Deutschland, so Hilger, würde dagegen die „Standortproblematik“ dafür sorgen, daß das Betriebsergebnis – „wie wir immer gesagt haben“ – auf ein „völlig unbefriedigendes Maß geschrumpft“ sei. Zur „Standortproblematik“ gehören für Hilger die „hohen Löhne und Abgaben“ ebenso wie eine „Verschärfung des Ordnungsrechts und immer neue administrative Hürden“ in Deutschland und der gesamten EU. In seinem Manuskript hatte Hilger auch noch die „hohen Anforderungen an den Umweltschutz“ als Standortnachteil genannt – in der Rede dann aber auf die Nennung verzichtet.
Luft führte zu Explosion im neuen Kühlmittelwerk
Knapp tausend Meter Luftlinie von der Bilanzpressekonfernz in der Jahrhunderthalle entfernt, suchten nämlich Experten des Landeskriminalamtes Hessen in den Trümmern der R 134a-Produktionsanlage im Stammwerk noch immer nach Hinweisen auf die genaue Ursache der Explosion vom vergangenen Freitag. Nach ersten Ermittlungen der Kripo soll eine Sauerstoffzufuhr das Kältemittel in der 40 Millionen Mark teuren brandneuen Anlage zur Explosion gebracht haben. Drei Mitarbeiter waren verletzt worden.
Das Kältemittel R 134a sollte bei Hoechst die Produktion des Ozonkillers FCKW ersetzen. Die „weiße Wolke“ aus fluorierten Kohlenwasserstoffen und einer „kleinen Menge Schwefelsäure“ (Hoechst) schwebte noch unsichtbar über dem Vorstandstisch.
Vom dem aus dem Konzernergebnis herausgerechneten mageren Gewinn der Hoechst AG in 1993 will die Firma 412 Millionen an die Aktionäre ausschütten und 17 Millionen in die Gewinnrücklage einstellen. Das sind exakt 7 Mark Dividende pro Aktie. Hilger kündigte auf der Bilanzpressekonfernz auch weitere Massenentlassungen an. Wurden in den vergangenen drei Jahren bereits 12.000 MitarbeiterInnen „freigesetzt“, sollen bis 1995 noch einmal 8.000 Menschen den Gang zum Arbeitsamt antreten. 20.000 MitarbeiterInnen weniger – das bedeutet für den Konzern eine Personalkostenersparnis von 1,5 Milliarden Mark pro Jahr.
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