piwik no script img

Hochstilisierter Stuß

■ betr.: „Die Erfinder der Zukunft“ (Japaninterview mit Wim Wen ders), taz vom 18. 7. 96

Was Wim Wenders in diesem Interview über Tokio erzählt, ist, mit Verlaub gesagt, hochstilisierter Stuß. Wer jemals eine längere Zeit in Tokio arbeiten und leben mußte, der kann bei der Aussage, daß „diese Stadt überall lebenswert“ sei, nur mit dem Kopf schütteln. Das Ganze noch als „disziplinierte Freiheit“ zu verkaufen, ist tatsächlich eine Verhohnepiepelung des Millionenheeres von arbeitenden Menschen, die in diesem Betondschungel ihr Leben fristen, weil es draußen auf dem ausgedünnten Lande kaum Arbeit gibt.

Eine Kritik an den brutalen und nicht lebenswerten Verhältnissen in Tokio, wo es ausgewählte Lieblings-Selbstmord-Eisenbahnstrecken der frustrierten Teenis gibt, in die „eurozentrische Ecke“ abschieben zu wollen, ist zudem schlichtweg demagogisch. Die Mehrheit der in Tokio lebenden Japaner und Japanerinnen wird sich bedanken für „Lobgesänge“ eines Wim Wenders. Für jemanden, der wie ich bisher allerdings nicht wie Wim Wenders 30mal, sondern nur 20mal in Tokio aus familiären und beruflichen Gründen war, und immer versuchte, so schnell als möglich aus diesem Betondschungel zu entfliehen, grenzen die vermeintlichen Lobgesänge schon direkt an Masochismus. Richard Pestemer, Redakteur

der Zeitschrift „Japan aktuell“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen